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Hans Rudolf Reust, Das Architektonische Komponieren der Künste
2011
Kulturzentrum Lokremise, St. Gallen
in: trans 19, composition, gta Verlag, Zürich, 2011


Anna Schindler, Hinter den sieben Gleisen
2011
Kulturzentrum Lokremise, St. Gallen
in: Werk Bauen und Wohnen, Niggli Verlag, 2011


Jeroen von Rooijen, "Landezone" für die Zukunft
2014
Weinberg, Bahnhofstrasse, Zürich
in: NZZ, Zürich, 27.11.2014


Franz Stähli, Architektur als Kulturvermittlerin
2015
Wohn- und Geschäftshaus Neugasse Zürich


Sabine von Fischer, Rohstoff
2008
Kunst(Zeug)Haus, Rapperswil-Jona


Jacqueline Burckhardt, Wer bin ich? - Ich und das Universum
2002
Bundesprojekt, Arteplage Yverdon-les-Bains


Bruno Reichlin, Jenseits der Zeichen
2001
Einstellhalle Domat Ems


Andreas Ruby, Visuelle Paukenschläge
1999
Röntgenareal Zürich


Martin Steinmann, La Forme Forte, Diesseits der Zeichen
1990
Einstellhalle Domat Ems








Hans Rudolf Reust, Das Architektonische Komponieren der Künste
2011
Kulturzentrum Lokremise, St. Gallen
in: trans 19, composition, gta Verlag, Zürich, 2011

Komposition - Die Architektur hat Gründe, sich schwer zu tun mit dieser historisch belasteten Vokabel. So haben es auch die Musik oder die Malerei, die mit Zufallsverfahren und der Auflösung aller Formate schon seit Jahrzehnten versuchen, den gemessenen Vorgang des Komponierens zu unterlaufen. Literatur, Tanz und Theater oder das Kino haben stets andere Namen für jene Praxis gewählt, nach der sich ihre Dinge verbinden. Im Überblick liesse sich für das 20. Jahrhundert eine Geschichte der Entgrenzungen in den Künsten schreiben, der Auflösung von festgefügten, wohl proportionierten und kontrollierbaren Strukturen. Kommt hinzu, dass die Wahl des Mediums, dessen Bedingungen und dessen Geschichte die einzelnen Künste über Jahrhunderte geprägt haben, inzwischen abgelöst wurden von einer Situation der Metamedialität: Die Entscheidung für ein bestimmtes Medium, einen spezifischen Mix oder Hybrid ist in allen Künsten grundsätzlich offen. Sie geschieht weniger als Wechsel aus einem vertrauten Medium in ein nächstes oder in andere (inter / trans), sondern aus einer Reflexion vor, über oder jenseits der Medialität (meta). Umso mehr ist mit jeder Entscheidung auch eine Haltung verbunden. Naiv jedenfalls kann keine Wahl eines Mediums mehr sein. Und wie steht die Architektur in diesem Feld der entgrenzten Potentiale?

Eine Antwort soll im Folgenden am Umbau der Lokremise in St. Gallen skizziert werden, wo der Architektur die Möglichkeit zur Strukturierung von Versuchsräumen für mehrere Künste gegeben ist: Das Ringdepot für Dampflokomotiven wurde in den Jahren 1901 bis 1911 gleich neben dem Bahnhof errichtet. Der Infrastrukturbau, zumal eine der frühsten Eisenbetonkonstruktionen, ist nun nach dem Umbau ein Jahrhundert später als ein Kulturaggregat für den Betrieb von speziellen Units und Zonen für Theater, Tanz, Film und Fine Arts angelegt, erweitert um eine Bar und ein Restaurant mit einer zentralen, aus allen Bereichen leicht erreichbaren Begegnungsfläche. Mit einem Aggregat wird ein technischer Komplex in wechselnden Zuständen assoziiert, der hier auf der Anlagerung und funktionalen Verknüpfung der einzelnen Zonen und Units, dem Wasserturm und dem Badehaus beruht.

Das offene Kontinuum des Ringraums ist nicht nur funktional und visuell, sondern vor allem auch akustisch eine einmalige Chance und eine besondere Schwierigkeit. Die komplexe Ausbreitung des Schalls im Ring fasst eine Sequenz aus spannenden Situationen zusammen. Zugleich sollte der unabhängige Betrieb von Aufführungen und Ausstellungen neben der Gastronomie möglich sein. Der Künstler Roman Signer hat mit seiner Aktion im rohen Gebäude deutlich gemacht, wie wichtig Klang und Bewegung in der Lokremise sind: Auf dem Rücksitz einer schweren Maschine, begleitet von einer brummenden Eskorte weiterer Motorräder, kurvte er durch die Halle im Halbrund und hielt über Megaphon eine Führung. Bei einer früheren Nutzung durch die Galerie Hauser & Wirth hat bereits Paul Robbrecht frei stehende Körper wie Stadtteile mit Gängen und Wänden eingebaut. Nun sind durch Stürm & Wolf in die weitgehend roh belassene Konstruktion aus Beton, Glas und Stahl die Units für Tanz und Theater, Gastro und Kino eingefügt. Wie Ausschnitte aus drei Keilen liegen oder treiben die drei skulpturalen Binnenbauten im Rund. Die Fluchtpunkte ihrer imaginären spitzwinkligen Dreieiecke liegen voneinander entfernt, exzentrisch im Kreis oder sogar weit draussen in der Stadt. Hier zeigt sich die Verspieltheit der Architektur im Umgang mit der Aufgabe, vier Bereiche akustisch und klimatisch zu trennen, dabei die Offenheit und Durchlässigkeit des Kontinuums möglichst zu wahren und die pragmatischen Bedürfnisse sehr unterschiedlicher Nutzer zu erfüllen. Zentral im Umbau ist die Sichel, jener Vorbau im Innenhof, durch den die Bewegung zwischen den Bereichen und durch die hohen, beweglichen Glastore hinaus auf die Begegnungsfläche leichthin geschieht. Die subtil gewählte Linie dieses Schnitts in den Kreis folgt selber keinem einheitlichen Radius, umso mehr lässt sie der geometrisch strengen Rotunde der Drehscheibe grosszügig Raum.

Der Logik der einzelnen Künste wird Rechnung getragen mit einer Black Box fürs Kino, weissen Wänden und einem veränderbaren Entrée für die Kunst, einem übergreifenden Holzboden für den Tanz, bei variablen Rängen und einem riesigen Hubtor, das den Bereich von Tanz und Theater öffnen oder trennen lässt. Bewusst bietet die Lokremise den beteiligten Institutionen eine experimentellere Alternative zu den Bedingungen am Stammhaus. So wird sich das Theater stets mit dem Quietschen der einrollenden Züge auseinander setzen müssen oder die Fine Arts mit einem dreieckigen Grundriss und Säulen, die eigene Bezüge im Raum generieren. Ein zusätzliches Potential dieses räumlichen Dispositivs liegt in Projekten über die Grenzen der einzelnen Sparten hinweg. Wie sich die Künste allerdings entwickeln werden, ist nach den programmatischen Phasen der Moderne schlechter vorher zu sagen als das Wetter oder die Börse. Möglich bleibt auch, dass sich die einzelnen Künste nach vielen transdisziplinären Experimenten der Überlagerung wieder stark auf ihre eigene Diskursgeschichte zurückziehen werden. In St. Gallen hat die Architektur eine Struktur geschaffen, die sich adaptieren lässt.

Lokremise: Der Name verweist auf die historische Dimension des Baus. Mit Remise enthält er ein Wort noch aus der Zeit der Kutschen. Es bezeichnet den schützenden Schuppen, in den Geräte nach Gebrauch zurück gestellt werden (re-mise). Damit sollte es auch den Charme der vorindustriellen Zeit in die zweckrationale Welt der Hochtechnologien retten. Patina, die selbst im Wort Lokremise mitklingt, haftet auch am Gebäude. Die Russspuren der Dampfloks haben die Elektrifizierung des Schienenverkehrs überdauert. Als schützenswertes Industriedenkmal könnte sich das Ringdepot daher leicht zu einer der Zeit enthobenen Bauikone verschliessen, umso mehr, als die gesamte Anlage durch eine Stützmauer vom städtischen Umfeld getrennt und im Bahnareal isoliert ist. Isa Stürm und Urs Wolf beziehen nicht nur den urbanen Kontext mit ein, sie nehmen auch die Geschichte des Gebäudes gänzlich unsentimental an. Vielerorts haben sie Spuren freigelegt und selbstverständlich in die neuen Nutzungen integriert. Insofern dient ihnen Geschichte nicht als Refugium, sondern als Reservoir von Aktionsweisen und damit als Auslöser für weitere, noch zu findende Formen des Gebrauchs. Flecken und Schrammen, roher Beton, die hohen Holztore und Gleise sind Indikatoren einer Dynamik, die weiterhin gemeint ist. Ein sprechendes Beispiel geben die Glasscheiben, die während Jahrzehnten bei Bedarf ersetzt wurden und nun ein Patchwork der Blicke bieten. Unterschiedliche Brechungen des Lichts prägen eine besondere Atmosphäre im Innern und staffeln die Sicht durch den Bau nach draussen. Die um 360 Grad drehbaren Tore der Sichel sollten ursprünglich in Weissglas ausgeführt werden, damit sie von aussen den gebrochenen Spiegel des Stadtpanoramas zarter halten, im geschlossenen Zustand mehr vom Innenleben preisgeben. Die Blicke in und aus den Units, durch das grosse Glas der Sichel und die wechselnden Brechungen der alten Scheiben, durch das Hubtor oder die rundum drehbaren Tore öffnen die ursprünglich radial zentrierte Struktur.

In der Blickregie wird ein Denken der Durchlässigkeit erfahrbar, wie es auch die Grundform des Aggregats nahelegt: Als geöffneter Ring gleicht die Lokremise im Grundriss dem Schnitt durch ein Auge, das den Bahnhof und Teile der Stadtsilhouette einfängt. Besonders in der Dämmerung wirken die Glastore denn auch wie eine immense Retina, die, in Segmenten gebrochen spiegelnd, ein facettiertes Panorama der urbanen Kulisse einfängt. Das Auge liesse sich vorstellen als zoomende, tendenziell jedoch starre Linse einer statischen oder bewegten Kamera. Oder es lässt sich verstehen als das im Denken jedes Sehen komplex antizipierende und verarbeitende menschliche Auge. Das in St. Gallen nun gebaute Auge ist von jener dritten Art: Es konfiguriert Blicke in einem architektonischen Denken, das Handlungsabläufe insinuiert, das Bewegungen weder erzwingt noch einfriert, sondern einer bewussten Entscheidung zuspielt. Architektur in einem solchen Verständnis ist nicht Monument oder Signal, nicht reine Funktion oder provoziertes Material, sie ist eine bauend denkende Metastruktur, die auch Metaphern findet für ihre Verschränkung von Prozessen: Friedrich Kieslers Verschluss einer Kamera als Vorhang vor der Projektionsleinwand im Kino oder seine beweglichen Dispositive der Wahrnehmung in einem unendlich die Richtungen wechselnden Kunstkokon bei Peggy Guggenheim bleiben eindrucksvolle Beispiele...

Raum ist Bewegung und Ereignis, ist auch von seiner Überschreitung oder Auflösung her zu verstehen, wie Bernard Tschumi es formuliert: Im Französischen gibt es zwei Bedeutungen des Wortes Design: dessin und dessein. Die Aussprache ist die gleiche, das eine Wort bezeichnet aber einen Entwurf, das andere eine Strategie oder eine Absicht. Generell verwenden Architekten das Wort Entwurf nicht im Sinne einer Strategie (dynamisch), sondern im Sinne einer Komposition (statisch). Ich möchte aber Strategien entwerfen und keine Kompositionen. Das englische Wort design beinhaltet allgemein allerlei verschiedene kompositorische, visuelle oder ästhetische Konnotationen, und oft setzt es eine Art Tabula-rasa-Situation voraus, auf die der Architekt eine ideale Form projiziert. Ich setze mich lieber mit dem objet trouvé der Realität auseinander, ob mit einem vorhandenen Bau oder aber mit einer vorhandenen sozialen oder wirtschaftlichen Situation. (Bernhard Tschumi über Architektur, Gespräche mit Enrique Walker, Bundesamt für Kultur BAK, Bern 2006, S. 078).

Während Tschumi bei Le Fresnoy in Tourcoing (1991,1997) ein alles überspannendes Dach, eine Klammer über die Funktionen, eine aufgesetzte Metastruktur neu errichtet, ist die Lokremise ein historisch gewachsenes urbanes Aggregat, eine entwickelte Metastruktur, der sich nach Stürm & Wolf die verschiedenen Funktionen einschreiben, um sie zu verändern. Mehrere Grundformen ihrer dynamisierten Architektur haben die Zürcher Architekten bereits bei ihrem Projekt für ein Automuseum in Teufen entwickelt: Ein Raum, der als Bühne wie als Ausstellungsort Objekte oder Prozesse in Szene setzen will, soll weder sich selber inszenieren noch selbst szenographisch sein, sondern im Status eines Werkzeugs seinen Gebrauch unterstützen. Er soll zur Aktion verleiten. Ein fliessendes Raumkontinuum, das keine Hierarchien kennt, dem vielmehr die Kabine der Operateure, die Garderobe, die Bühne oder der Ausstellungsraum wie die angrenzenden Gebäude von gleicher Wahrnehmungspräsenz und Wichtigkeit sind, ist dazu eine entscheidende Voraussetzung. Bewegung im Bau entsteht aus der Dynamisierung der Wahrnehmung. Auch die historischen Elemente sind hier Träger und Trigger von Geschichten. So sollte in Teufen die Erinnerung an die Rennbahnen der Boliden zur Konzeption eines Besucherflusses im Loop führen, in einer schalenartigen, alles umfassenden Gebäudehülle, die sich aus der Landschaft entwickelt und im Innern selber zur Landschaft wird. In der Lokremise vermittelt sich Zeit, Beschleunigung oder Einhalten, nicht mehr durch dampfende Loks, sondern in der Dehnung und Komprimierung von Formen, die aus einem Setting von Sehnen, Tangenten und Kreiskurven erwachsen. In der Sichel wird das Schienennetz, wird die Stadt St. Gallen als Bild und Bewegung zum Parameter für Abläufe in einem Bau, der seine Lage trennscharf an der Grenze zwischen Bahnhof und Stadt als Drehscheibe nutzt.

So wäre schliesslich das Komponieren in einem erweiterten Kontext zu denken: Alltäglich tritt das Wort heute noch in bezeichnenden Zusammenhängen auf wie the composition of the train / Zugskomposition (linear, invariabel, für eine dynamische Einheit) oder la composition d une salade (räumlich variabel, inkonsistent, auf ein Verschwinden hin angelegt). Danach ist der Begriff auch in der Architektur mit einem dynamisierten Denken von Raum zu verbinden. Schliesslich legt die lateinische Wurzel com-ponere nahe, sich beim Zusammensetzen auf die Logik der Verknüpfung zwischen den Elementen einzulassen, sei es für eine feste oder eine flüchtige Ordnung. Komponenten sind nicht einfach isolierte Teile, sondern Elemente, die im Hinblick auf ihre Verbindung zu verstehen sind, in einer Dynamik zwischen Teilen und Ganzem. Komponieren resultiert nicht zwingend in festen Kompositionen. Die Lokremise jedenfalls wird bestimmt durch das komponierende Denken von Aktionsräumen, durch eine in sich dynamische Metastruktur, die geistige und räumliche Prozesse begünstigt.

Cedric Price hat in seinem Entwurf des Fun Palace von 1960 für einen Theaterproduzenten bereits eine in voller Nutzung ständig veränderbare, wenn auch primär dienende Struktur erdacht: I tried to achieve in effect a large mechanized shipyard in which various structures could be built from above by means of gantries, travelling cranes and intermediate beams and that these structures would contain the activities as shown simply in themselves, but would through their design be capable of being altered while the building was occupied The whole structure therefore being constantly changing Realisiert wurde 1971 schliesslich sein Inter-Action Centre in Kentish Town im Norden Londons, wo vorfabrizierte Module je nach Bedarf eingefügt oder ausgebaut werden können.

Offenheit des Raumkontinuums und Variabilität der baulichen Elemente allein garantieren noch keine dynamische Struktur, eher delegieren sie, wie bei Price, die Bewegung an die Nutzer. Das Bauen für eine metamediale Praxis der Künste verlangt von der Architektur letztlich eine Verschiebung im Selbstverständnis der Profession. Die Architektur der Lokremise mischt sich mit ihrer Konzeption der Zonen und Units, mit dem Einbezug von Abläufen in der Stadt, mit ihrer Haltung in der Wahl von Materialien selbstverständlich in den Diskurs unter den Künsten ein. Auszugehen auf eine Metastruktur, steht nicht mehr als dienende (Cedric Price) oder dominierende (Bernard Tschumi) Praxis den anderen Künsten gegenüber. Sie behauptet auch nicht die scheinbare Neutralität des White Cubes oder der Black Box. Vielmehr findet sich die denkende Architektur im Feld der entgrenzten Potentiale in derselben metamedialen Situation wider, wie alle anderen Künste. Je mehr die Fine Arts, Tanz, Theater und Film die Bedingungen und den Ort reflektieren, in denen sie agieren, desto direkter ist auch der Bau in ihre Produktionen involviert. Umso direkter wird auch die Architektur über das Komponieren performativ: ein eigenständiger Akteur im erweiterten Zuspiel unter den Künsten.





Anna Schindler, Hinter den sieben Gleisen
2011
Kulturzentrum Lokremise, St. Gallen
in: Werk Bauen und Wohnen, Niggli Verlag, 2011

Nach einem für den Kanton St. Gallen einmaligen politischen Bekenntnis ist die Lokremise aus den Anfängen des 20. Jahrhunderts zu einem kulturellen Zentrum geworden. Präzise Eingriffe schreiben der historischen Substanz eine zeitgemässe Nutzung ein.

Die Lokremise beim Bahnhof St. Gallen ist Kulturgängern aus der ganzen Schweiz längst ein Begriff: Das grösste noch erhaltene Lokomotiven-Ringdepot der Schweiz, 1903–1911 erbaut, wird schon seit den späten neunziger Jahren als Ausstellungsort genutzt. Ende der 1980er Jahre war die Anlage stillgelegt worden, die im Auftrag der Vereinigten Schweizerbahnen (später SBB)in Zusammenarbeit mit Karl Moser für die Wartung von 21 Dampflokomotiven entworfen worden war. Von 1999 bis 2004 richtete die Galerie Hauser & Wirth in der Eisenbahnbrache eine Dependance für ihre hochkarätige Sammlung ein und nutzte die Sommermonate für Ausstellungen zeitgenössischer Kunst, die regelmässig international Aufmerksamkeit erregten. Als die Galeristen unter anderem wegen der fehlenden Möglichkeit zu einer ganzjährigen Nutzung nach fünf Jahrenauszogen, hinterliessen sie im Wasserturm eine dauerhafte Installation des Schweizer Künstlers Christoph Büchel – und den Wunsch der städtischen Behörden und der Bevölkerung, die Anlage entgegen den Plänen der SBB auch künftig kulturell zu nutzen. Im Frühjahr 2005 beschlossen deshalb die Genossenschaft Konzert und Theater und der Kanton St. Gallen, die Lokremise zu einer spartenübergreifenden Kulturplattform auszubauen. Als Veranstaltungsort etablierte sie sich auch während der langwierigen politischen Vernehmlassung in den folgenden Jahren: Bis im Juni 2009 fanden im Provisorium Lokremise über 500 Anlässe kultureller,wirtschaftlicher, gesellschaftlicher oder bildungspolitischer Natur statt. Am 30. November 2008 bewilligten die St. Galler Stimmbürgerinnen und Stimmbürger den kantonalen 22,64-Millionen-Kredit zum Umbau mit einem Ja-Anteil von 57,4 Prozent. Es war das erste Mal, dass der Kanton St. Gallen ein Bauprojekt für eine kulturelle Nutzung annahm.

Im Clinch zwischen Geld und Kultur
Im Herbst 2010 hat die neue Kultur-Remise von IsaStürm und Urs Wolf ihre Tore mit einem Volksfest geöffnet. Die Anmutung des Industriedenkmals ist dem mächtigen, zu einem knappen Viertel geöffneten Rundbau auch im neuen Kleid allerdings nicht abhanden gekommen. Die nach französischem Vorbild errichtete Rotunde zählt zu den ersten Eisenbeton-Konstruktionen in Europa. Die Fassade mit Jugendstilelementen erinnert an die Hochblüte der Ostschweizer Textilindustrie in einer Zeit, in der sich St. Gallen einer direkten Zugverbindung nach Paris rühmen konnte. Zur Anlage gehört ein Badhaus, 1902 erbaut, in dem Aufenthalts-, Wohn- und Waschräumlichkeiten für Eisenbahnarbeiter untergebracht waren. Der Wasserturm von Robert Maillart aus dem Jahr 1906 diente der Speisung der Dampflokomotiven mit Wasser sowie als Löschwasserreservoir. Mit der Elektrifizierung der Eisenbahn ab den zwanziger Jahren wurde die Wartungsstätte jedoch zunehmend überflüssig. Bereits in den 1940er Jahren wurden der Wasserturm stillgelegt und das Badhaus an Studenten vermietet. Noch bis Ende der neunziger Jahre wollten die Stadt und die SBB das Gebiet um den Bahnhof radikal umbauen. Mit dem Umdenken in der städtischen Planung stieg jedoch das Interesse von Denkmalpflege und Heimatschutz an der Rotunde – und auf einmal erkannte man die Chance, ein Niemandsland im Herzen der Stadt durch eine Neudefinition wieder zu beleben. So kaufte der Kanton den SBB die Lokremise für 4,5 Millionen Franken ab. In enger Zusammenarbeit mit den
Ämtern für Kultur und Hochbau sowie den vier Kulturinstitutionen, die nun in der Lokremise einquartiert sind, ist ein Haus entstanden, dessen experimenteller offener Charakter in der zurückhaltenden, an der Geschichte des Bestands orientierten Sanierung eine adäquate Umsetzung findet. Die Lokremise soll ein Laboratorium bleiben für verschiedene Kultursparten, ein Freiraum für Akteure und Besucher, ein Spielfeld für Gastronomen und Veranstalter. Entsprechend offen ist ihr räumliches Konzept. Die sichtbaren baulichen Eingriffe beschränken sich auf punktuelle Strukturen, die das zusammenhängende Dreiviertelrund ordnen, ohne den Innenraum endgültig zu definieren. Vielmehr schaffen sie drei fliessend abgegrenzte Zonen: eine Kunstzone, ein Foyer mit gastronomischer Nutzung und eine Theaterzone. Programm und Architektur sollen deckungsgleich sein, postulieren die Architekten – und die Lokremise zu einem Haus für alle machen, vor allem auch für die lokale Bevölkerung. So betreiben das Kunstmuseum St. Gallen zusammen mit der Kunsthalle und dem Sitterwerk auf rund einem Drittel der Fläche eine Ausstellungshalle, die in der Wintersaison während drei Monaten für externe Nutzungen freigegeben wird. Das Stadttheater verfügt über zwei Räume für Tanz- und Theateraufführungen, die von Juli bis September anderweitig in Anspruch genommen werden können. Permanent offen stehen das rund 100-plätzige Studiokino «Kinok» mit eigener kleiner Bar sowie das Restaurant und die Lounge. Diese vier Bereiche sind fliessend voneinander abgegrenzt, so dass auch gemeinsame Nutzungen möglich sind.

Erhalten und doch verändern
Das räumlich-architektonische Konzept scheint zu funktionieren, ebenso das ästhetische. Die Lokremise hat von aussen nichts vom Charme des hundertjährigen Technikbauwerks verloren. Dies liegt hauptsächlich an dem sorgfältigen Umgang mit der geschützten Substanz. Die in Backstein gemauerte Fassade mit den grossformatigen Fenstern und Toren wird von Jugendstilelementen wie feinen Reliefs oder Wellenlinien geschmückt. Der gestippte Rustico-Verputz hatte allerdings über die Jahrzehnte gelitten. Rund 50 Prozent der Fassadenhaut mussten ersetzt werden, weil sie schadhaft war; so rekonstruierten die Architekten den historischen Putz im Labor und flickten die schadhaften Stellen in langwieriger Handarbeit. Um die unterschiedlichen Farbtöne zwischen Alt und Neu auszugleichen, wurde die Fassade mit Kalkmilch überzogen. Die filigranen Eisenkonstruktionen der sechzehnteiligen Fenster und der Dachoblichter wurden dagegen belassen. Sie prägen die Stimmung und den Charakter des Gebäudes innen und aussen massgeblich. Im Sinne der angestrebten Reanimation doppelten die Architekten sie innen mit grossen, in bewegliche Metallrahmen gefassten Glasplatten als Vorfenster auf. Dieses Vorgehen erlaubte es, neben den Reparaturen erodierter Stellen die sichtbaren baulichen Eingriffe an der Lokremise auf das Notwendigste zu beschränken. So wurde das Fassadenrund im Nordosten, Richtung Wasserturm, für einen neuen Haupteingang durchbrochen (Architektur Werner Binotto). Zwei Brüstungen fielen dem Notausgang und der Anlieferung zum Opfer und eine neue, in das Rund der Rotunde gelegte Erschliessungszone wird zur transparenten Schleuse zwischen Innenraum und Hof. Ansonsten bleibt aber die Geschichte des Gebäudes mit ihren verschiedenen Bauabschnitten und den teils provisorischen Anpassungen an veränderte Nutzungen sichtbar, ebenso wie die Spuren des Gebrauchs. Man wollte weder einen homogenen historischen Originalzustand wieder herstellen, noch den Bau zum zeitgenössischen Kulturmonument verfremden. Vielmehr soll sich die gegenwärtige Phase ebenso wie die vorherigen in die Erscheinung der Lokremiseeinschreiben.

Neue Gemeinsamkeit
Das offene Herz der Anlage bildet die Rotunde mit den 21 Toren und der Holzplattform, unter der das ehemalige Drehgestell – komplett, aber leider nicht mehr funktionstüchtig – verborgen liegt. Von hier gelangt man im Bereich der mittleren Toröffnungen durch eine neue gläserne Foyerkurve, genannt «Sichel», ins Innere des Remise. Die Sichel besteht aus einer zwölfteiligen, 5.40 m hohen Metall-Glaskonstruktion aus schwenkbarenVerglasungen, die in feuerverzinktem Stahl gefasst sind. Jedes Torlement lässt sich einzeln öffnen; auf den Drehachsen ruht zugleich das Dach. Die ausgeklügelte Konstruktion gestattet eine maximale Öffnung der Glasfassade im Sommer; zugleich schafft sie den vier Kulturinstitutionen eine gemeinsame Adresse. Im Innern wird der Hallenraum von einer schirmartigen radialen Eisenbetonkonstruktion überspannt. Schlanke, runde Ortbetonstützen tragen eine Rippendecke mit einer lediglich acht Zentimeter starken Betonplatte. Der ringförmige Grossraum gliedert sich in drei Abschnitte von 18, 21 und 23 Metern Gebäudetiefe. Auch hier galt die Reanimierung des Bestehenden als oberstes gestalterisches Gebot.
Die inneren Oberflächen wurden nur örtlich repariert, spätereFarbabstriche stellenweise mit einem Granulat aus gemahlenen Nussschalen abgestrahlt, bis die ursprünglichen Wände zum Vorschein kamen, Russ- und Rostfleckenjedoch belassen. Die rohe Atmosphäre der Maschinenhalle sollte spürbar bleiben; weisse Wände und Decken behielt nur das Kunstmuseum. So wurden auch die bestehenden Betonböden mit all ihren Unebenheiten und den eingelassenen Schienen nur geflickt. Mit Kies gefüllt wurden dagegen die einstigen Servicegruben. Heizung und Lüftung machen das Gebäude ganzjährignutzbar. Isoliert werden konnten dabei nur Teile der historischen Konstruktion wie etwa das Dach von aussen. Die zusätzlichen inneren Verglasungen der grossen Fenster und Tore sowie eine Perimeterdämmung des Fundaments bis auf 80 cm Tiefe reichen jedoch aus, um im Winter die Wärme im Gebäude zu behalten. Als zentraler Träger für sämtliche Leitungen und Medien dient eine rundumlaufende, offene Trasse an der Decke.

Viele verschiedene Orte in einem Raum
Man bewegt sich durch die Lokremise wie durch eine «Stadt in der Stadt» – mit imposantem Ausblick auf die reale City mit Bahnhof und Rathaus. Drei autonome «Units», Leichtkonstruktionen aus Stahl und Polykarbonat, sind so in das Dreiviertelrund gestellt, dass sie die einzelnen Zonen markieren und doch einen freien Besucherfluss dazwischen zulassen. Sie werden aus Boxen mit leicht verzogenen Volumen und trapezförmigen Grundrissen gebildet, die nicht in der Radialität der Kreisgeometrie positioniert sind und unerwartete Weiten oder Engpässe entstehen lassen. Jede Unit beherbergt kulturelle Nutzungen oder Infrastrukturen für die Gesamtanlage und ist in ihrer Gestalt an die jeweilige Funktion angepasst. Bewegliche Elemente wie Klappen, Schiebetore, heb- oder schwenkbare Wandteile gestatten es, den Raum in jedem Bereich flexibel zu verändern. Fix sind bloss Installationen wie die Küche, die Toilettenanlagen oder die Garderoben. In ihrer Materialisierung mit feuerverzinktem Stahl, Wandverkleidungen aus Gipskarton oder semitransparentem Kunststoff und punktuell eingesetzten Farbflächen strahlen alle Units eine radikale Einfachheit aus. Das westlichste Kreissegment gehört dem Theater; die dazugehörige Box mit Garderoben und Technikraum steht auf Stützen und lässt sich von aussen über eine Freitreppe und von innen über zwei Treppen erreichen. Die vorherrschende Farbstimmung dieser Zone ist dunkel. Unter der komplett schwarz gehaltenen Box läuft ein dunkelbraun gebeizter Holzboden durch. Er bedeckt die gesamte, 1260 m2 grosse Fläche des Theaters, die auf Wunsch in eine einzige zusammenhängende Tanzbühne verwandelt werden könnte. Mittels riesiger Hub- und Schiebetore lassen sich auch drei einzelne Säle abgrenzen, die alten Remisentore bilden die Schleuse nach aussen. Die zweite Unit – die Ver- und Entsorgung –schliesst nördlich an den Theaterbereich an. Sie ist über einem fächerförmigen Grundriss zweigeschossig aufgebaut. Unten findet sich die Küche mit ihren Nebenräumen, oben die Toilettenanlagen und die Haustechnikzentrale. Eine breite Kaskadentreppe führt nach oben; grosse Fenster bringen Tageslicht in die inneren Räume. In der dritten Unit ist das Studiokino untergebracht. Der Kinosaal selber ist ein schlichter, harmonisch proportionierter und mit seiner Auskleidung in Aubergine und Rosatönen ausgesprochen wohnlicher Raum. Zugleich ist in das leicht rhomboide Volumen aussen eine kleine Bar eingeschnitten, deren orange Rückwand einen warmen Akzent in der Halle setzt. Die niedrige Decke lenkt den Blick in die Weite; die schönste Sicht diagonal durch die gesamte Rotunde gestattet jedoch das Fenster des Operateurraums im Obergeschoss der Kinobox. Der Kunst steht keine Unit zur Verfügung. Vielmehr prägt ein gewollt provisorischer Werkstatt-Charakter den bis unter die Decke offenen Raum. In der Halle macht die markante Eingangsfront aus Polykarbonat und Glas auf sich aufmerksam. Im Innern der Ausstellungshalle bilden zwei schiefe Wände Fixpunkte fürs Auge: eine Aussenwand der Kino-Unit, die sich durch eine Schiebewand verlängern lässt, und eine zweite geschlossene Fläche, die von den Architekten ähnlich wie im Kunst(Zeug)haus Rapperswil vor die Fensterfront gestellt wird. Wenn der transparente Abschluss der Kunstzone geöffnet wird, ensteht zusammen mit dem angrenzenden Restaurant eine einzige offene Fläche.Und ohne dass es auf den ersten Blick offenbar wird, ist die zeitweilige Liaison von Kunst und Kochen bereitseine dauerhafte Verbindung eingegangen. Über der Küche prangen 39 verchromte Halbkugeln von John Armleder.
Auch das ist subtile Transformation des Bestehenden.






Jeroen von Rooijen, "Landezone" für die Zukunft
2014
Weinberg, Bahnhofstrasse, Zürich
in: NZZ, Zürich, 27.11.2014

Die Modeboutiquen der traditionsreichen Firma Weinberg waren stets stilistische Meilensteine - daran knüpft auch das neue Geschäft an.
Wenn die Weinbergs bauen – und das tun sie nicht alle paar Jahre, sondern eher alle paar Dekaden –, dann tun sie es richtig. So war das 1974, als sie eine damals revolutionäre Damenboutique eröffneten, welche die Zürcher Architekten- Legenden Trix und Robert Haussmann entworfen hatten. Und so ist es auch dieser Tage mit dem neuen Damenmodegeschäft, das an der Bahnhofstrasse 11 eröffnet und nach sechzig Jahren den bisherigen Standort an der Ecke Bahnhof - Börsenstrasse ablöst.
Die Architektur für die neue Boutique hat das Zürcher Büro Isa Stürm & Urs Wolf entworfen. Die Cousins Ben und Andreas Weinberg, beide Anfang fünfzig, sprechen bewusst nicht von der Inneneinrichtung, weil es ihnen um mehr als nur das Interieur ging. Lange haben sie nach jemandem gesucht, der die Antworten auf ihre Bedürfnisse fand. Für Isa Stürm haben sich die beiden Co - Chefs entschieden, weil sie bereits einen Bezug zur Mode hatte und ihre Architektur spezifisch auf den Raum Bezug nahm. Was ausserdem wichtig war: Isa Stürm und die Haussmanns, mit denen die Weinbergs die letzten vierzig Jahre ihre Läden bauten, kennen und schätzen sich. Wir wollen unsere Geschichte ja in gewisser Weise fortschreiben, sagt Ben Weinberg.

Zukunftsgerichtetes Ambiente
Wie der neue Laden auszusehen hatte, stand lange nicht fest. «Wir haben die Architektin vor allem mit funktionalen Anforderungen konfrontiert, hatten aber sonst keine Vorstellung davon, wie es aussehen sollte», sagt Ben Weinberg. Es lag an Isa Stürm, ein Ambiente zu realisieren, das sowohl zu Weinberg wie auch zu den Anforderungen der Zeit passt. «Wir wollten einen zukunftsgerichteten Laden, der uns viele Varianten ermöglicht», sagt Andreas Weinberg. Der neue Weinberg sollte für bestehende Kunden genauso zugänglich sein wie für Menschen, die Weinberg neu entdecken, oder, wie die Weinbergs sagen: «Der Laden soll ein Erlebnis sein, das man nicht mehr vergisst.»
Zwei Jahre wurde geplant und schliesslich sieben Monate gebaut, bis stand, was nun Wirkung bis weit über Zürich hinaus erzeugen soll: eine Boutique, die einen Aufbruch in ein neues Zeitalter markiert. Man betritt sie über eine sanft nach rechts ansteigende Rampe, über die man die ganze Breite des Schaufensters abschreitet. Von der ersten «Ebene» an geht's entweder rechts ins Untergeschoss, über eine grosszügige Treppe, oder nach links, vorbei an raumgreifenden Holztresen und über den «Catwalk» in den inneren Teil des Erdgeschosses. «Etwas vom Wichtigsten ist die Eingangszone», sagt Ben Weinberg, «Wir wollten eine ‹Landezone›, in der man nicht sofort in der Ware steht.»
Kennzeichnend sind ein spannender Wechsel von hochwertigen Hölzern, von Hand verlegten Terrazzo-Böden, leicht unebenen Spiegelblechen an der Decke und rauen, unverputzten Wänden, die für Modernität und Spannung sorgen. Die Möbel, Warenträger, Böden und Lichter wurden allesamt auf Mass entworfen und von lokalen Handwerkern gebaut. Nichts stammt aus dem Teilekatalog konventioneller Shop-Einrichter. Das Interieur wirkt modern, aber zurückhaltend. «Zeitlosigkeit war uns wichtig», sagen die Weinbergs, «Wir halten dies noch immer für eine gute, wichtige Qualität. Zeitbezug stellt man dann mit der Mode her.»

Neuer Markenmix
Auch in Sachen Sortiment will Weinberg neue Wege gehen. «Wir suchen unsere Marken nach den Kriterien von Tragbarkeit und Aktualität aus, es muss aber immer beste Qualität sein», sagt Ben Weinberg. Neben bisherigen Marken wie Akris, Armani oder Iris von Arnim wird im neuen Geschäft auch eine Vielzahl neuer Labels angeboten, zu denen etwa Akris Punto, Artigiano, Closed, Equipment, Pamela Henson, Henry Beguelin, Philippe Model oder Thomas Rath gehören.






Franz Stähli, Architektur als Kulturvermittlerin
2015
Wohn- und Geschäftshaus Neugasse Zürich

Architektur als Kulturvermittlerin

Wenn ein Unternehmen die Möglichkeit zu bauen erhält, ist das eine einmalige Chance. Die SVA Zürich hat sie gleich zweimal bekommen und genutzt. 15 Jahre nach dem Bezug des Unternehmenssitzes an der Röntgen-strasse 17 hat sie die zusätzlichen Büroräume mit 110 Arbeitsplätzen im Neubau an der Ecke Neugasse Luisenstrasse bezogen. In die darüber liegenden 22 modernen Stadtwohnungen ist Leben eingekehrt, so farbig und individuell wie das Quartier, mit dem sich die SVA Zürich sehr verbunden fühlt. Das zeigt sie nun auch mit dem Neubau, der sich dank der Eigenständigkeit der Architektursprache mit beeindruckender Leichtigkeit in den Strassenzug einordnet. Das Wohn- und Bürohaus nahe der Langstrasse ist aus Sicht der Bauherrschaft ein architektonischer Solitär, dessen Wert sich besonders gut im harmonischen Zusammenspiel mit den bestehenden Häusern der Nachbarschaft zeigt. Der Bau ist wie das Quartier selbst – einladend und inspirierend. Die Architektur macht das ganze Potenzial kreativen Denkens sichtbar. Sie regt an, neue gedankliche Freiräume zu schaffen, um die Bedürfnisse eines Quartiers aufzunehmen und – im Fall der SVA Zürich ganz entscheidend – die Bedürfnisse von Kundinnen und Kunden zu verstehen.

20 Jahre SVA Zürich
Eine zentrale Anlaufstelle für alle Kundenfragen, ein Kompetenzzentrum für Sozialversicherungen im Kanton Zürich – mit dieser visionären politischen Idee wurde der Grundstein für die heutige SVA Zürich gelegt. Die politische Idee war Ausdruck unternehmerischen Denkens und die Begründung eines neuen Kundenverständnisses. Das Konzept der vernetzten Kundenberatung ist so alt wie die SVA Zürich selbst. Vor 20 Jahren wurde die SVA Zürich gegründet und das Bauprojekt für den neuen Unternehmenssitz an die Hand genommen.

Architektur schafft Identität
Die Architekten Isa Stürm und Urs Wolf dürfen zu Recht behaupten zu wissen, was „gutes Bauen“
bedeutet. Der Unternehmenssitz der SVA Zürich wurde mit dem begehrten Architekturpreis der Stadt Zürich ausgezeichnet. Auch das jüngste Projekt der Architekten ist zweifelsfrei ein grosser Wurf, was die architektonische Qualität, die nachhaltige Bauweise und den präzisen städtebaulichen Eingriff angeht. Die werteorientierte Gestaltung entspricht ganz der Haltung der SVA Zürich: Architektur ist Darstellung des Werteverständnisses des Unternehmens. Sie ist sichtbarer Teil der Unternehmensidentität. Je klarer die Vorstellungen von Aufsichtsrat und Geschäftsleitung sind, je stärker der Gestaltungswille, desto anspruchsvoller, aber auch befruchtender ist der Entwicklungsprozess zwischen Bauherrschaft und Architekten. Es geht nicht nur um den Bau von Büroräumen, sondern um das sichtbare Fundament der Unternehmenskultur. Architektur setzt Kultur voraus, und sie schafft Kultur – im Unternehmen wie auch im Quartier.

Unternehmenswerte sichtbar machen
Mit der Gründung des Kompetenzzentrums für Sozialversicherungen stand die SVA Zürich vor der Aufgabe, die sieben Standorte zusammenzuführen. Die grösste Herausforderung war, die ganz unterschiedlichen Firmenkulturen zu verschmelzen und ein gemeinsames Dienstleistungs-und Kundenverständnis zu etablieren. Der Bezug des Neubaus im Januar 1999 hatte eine beschleunigende Wirkung. Die Architektur kommunizierte die Attribute des Unternehmens – offen, transparent, modern und freundlich. Wer zur SVA Zürich kommt ist willkommen. Die Offenheit der Architektur hat sich auf die Menschen übertragen. Der Wirkung von Architektur kann man sich nicht entziehen. Deshalb ist es für Unternehmen wichtig, Architektur als Kulturträger zu verstehen und zu gestalten. Wenn Bauten zum sichtbaren Unternehmensauftritt gehören dann muss ihre Architektur unbedingt glaubwürdig sein. Das Verhalten des Unternehmens und seiner Mitarbeitenden muss mit der Architektur übereinstimmen. Diesem grundlegenden Anspruch wird die SVA Zürich in hohem Masse gerecht. Sie hat einen klaren Standpunkt und sie schafft Raum für ihre Kundinnen und Kunden, indem sie ihre Anliegen in aller Konsequenz ernst nimmt und Perspektiven gibt.






Sabine von Fischer, Rohstoff
2008
Kunst(Zeug)Haus, Rapperswil-Jona

Rohstoff

Sabine von Fischer


Ob ein Zeughaus das Zeug zum Kunsthaus hat? Das «Zeughaus» als ein «Gebäude zur Aufbewahrung aller Arten von Zeug»1 lässt es offen, ob das Aufbewahrte für den Kriegsfall sei. Zeug meint allgemein: Gerät, Ausrüstung, Rohstoff, Material, sogar Kram.2 Im Sprachgebrauch ist man sich allerdings einig, dass im Zeughaus militärisches «Zeug», nämlich Waffen und Vorräte, gelagert werden, oder wurden. Viele Zeughäuser der Schweiz sind umgenutzt. In Rapperswil-Jona wird im ehemaligen Zeughaus 2 ab Mai 2008 Kunst ausgestellt. Eine Umnutzung, so scheint es, die nicht ganz reibungslos vor sich gehen kann, denn abgesehen von der Diebstahlsicherung hat das Zeug der Vergangenheit kaum etwas mit dem der neuen Nutzung gemeinsam. Oder doch? Zumindest unterstreicht schon der Name Kunst(Zeug)Haus, dass es hier keine Berührungsängste gibt.

Material |
Zeug als Rohstoff und Material deutet auf Grundfragen des Lebens hin: Nicht nur eine Armee, sondern jede Organisation, jede Tätigkeit, ja das Überleben an sich ist an Zeug gebunden. Die Frage nach dem essentiell Notwendigen verbindet nicht nur die im zentral angelegten Kubus untergebrachte Robinson Crusoe-Bibliothek mit der Bosshardschen Sammlung zeitgenössischer Schweizer Kunst. Auch die von den Architekten Isa Stürm und Urs Wolf für diesen Umbau gewählte architektonische Taktik ist eine Kunst des Handelns, an erster Stelle hinsichtlich der Frage nach den Rohstoffen, Materialien und Strukturen. Die räumlichen Eingriffe beim Umbau des Zeughauses zum Kunst(Zeug)Haus bedienen sich der bereits vorhandenen Baustoffe, vor allem des Holzes. Wie schon früher reihen sich auch nach dem Umbau die Holzpfeiler mit ihrem Kreuzbug zu einem Wald aus Stützen. Dies ist ungewohnt für einen Ausstellungsraum, der im gegenwärtigen Geschehen meist als stützen- und spurenloser «white cube» umgesetzt wird. Im Gegensatz dazu werden durch die Tragstruktur im Zeughaus (39 Stützen auf jedem Geschoss) die Sichtlinien unterbrochen, und das Holz wie der Boden mit ihren Furchen, Rissen und Absätzen verfügen über ein nicht zu übersehendes Eigenleben. Für ihr Umbauprojekt haben die Architekten dieses Holz benutzt und zum Thema gemacht: Ihr Ansatz war, dass sie nicht die Wahl hatten, sondern dass die dicht gesetzte Holzstruktur schon da war und nicht wegzudrängen gewesen wäre, ohne das Zeughaus zur leeren Hülle zu machen. Eine Hülle übrigens, die nicht gerade durch Eleganz besticht und mit dem fahlbraunen Anstrich zusätzlich zurückgenommen wird zugunsten einer Betonung der Öffnungen. Auf den langen dunklen Fassaden des zweigeschossigen Baus versprechen die hellen Brüstungen und die farbigen Tore ein Innenleben mit Licht und Leben.
Innen legen sich die Verglasungen der Tore wie ein Futteral in die alte Struktur. Dass der Betonboden des Erdgeschosses roh belassen wurde, manifestiert schon im Eingang unmissverständlich, dass es hier nicht um ein Überschreiben, sondern um ein Hinein- und Dazuschreiben am Vorgefundenen geht. Die Stufen - halb Treppe, halb Stufenpodest - die vom Foyer nach oben führen, kaschieren ihr Alter: Man würde nicht denken, dass sie erst 2008 eingebaut wurden. Ihre Patina haben diese Paneele sich über einige Jahre in der Lagerhalle zugelegt. Hier im Raum unterscheiden sie sich nur wenig vom jahrhundertalten Beton. Räumlich aber ist dieser Aufgang ein Moment der Öffnung, auch der Befreiung: In einer unzeughäuslichen Grosszügigkeit öffnet sich der Raum nach oben zum Licht. Im zweiten Geschoss zeichnet die aufgewölbte Decke, einer Wolke ähnlich, Wellen durch den Raum. Es ist eine Welle von zenitalem Licht, die den Raum grösser und grosszügiger werden lässt.

Bewegung
Dass die Architekten ihren Eingriff im Ausstellungsraum auf das Dach konzentriert haben, erlaubte einerseits, den Charakter des Baus weitgehend zu erhalten, gleichzeitig kehrt es die Hierarchien der Geschosse um: Durch das einfallende Licht erscheint neu das obere Geschoss als Hauptgeschoss, dem von unten her zugedient wird. Der Oberlichtaufbau macht das schlichte Dach zum Erzeuger einer Raumfigur. Die Sparren in ständig anderen Winkeln formen in der Reihung eine sanfte Bewegung, die von jedem Standpunkt aus anders erscheint und auf den ersten Blick keiner mathematischen Regel zu folgen scheint. Mehr als eine Form ist das Dachlicht ein Lichtspiel und eine Bewegung, welche die Stützenreihen aus ihrem starren Raster löst unddem Raum eine neue Dynamik verleiht.
Innerhalb eines stetigen Takts holen die Dachsparren mit ihrer neuen Setzung im Bereich des Dachlichts zu virtuosen Rhythmen aus. Wie ein Zugpferd, das sich ins Geschirr legt, scheint sich auch das Dach ins Zeug zu legen und zieht nach oben, verzieht sich zum Himmel, von wo es das Licht ins Obergeschoss der ehemaligen Lagerhalle holt. Im westlichen Teil des Raums wird das Dachlicht breiter: Auch im Grundriss bricht es aus den strengen Linien der bestehenden Stützenreihe aus. Hier stemmt sich eine zweite Lage von Sparren über die bestehende Dachlinie. Der Raum wird leichter: nicht nur durch das hier zusätzlich aus dem Süden hinzugefügte Licht, sondern vor allem durch das Auflösen der linearen Abwicklung. Konstruktiv kokettiert das Hinzufügen einer zweiten Sparrenlage mit der Tragfunktion der Pfeiler in deren Mitte, wo drei Stützen und das Stützenpaar an der Stelle der ehemaligen Treppe nun keine Lasten mehr abtragen, sondern einzig die Reihe der hölzernen Stämme fortsetzen. Räumlich aber ist das Aufdoppeln wirksam: Die Lage der belassenen Sparren setzt die Raumschicht, wo die Eingangstreppe im Ausstellungsraum fusst, fort. Als Teil des nach Süden ausbrechenden Dachlichts verschränkt die verdoppelte Lage die Abwicklung in der Länge des Raums mit der Bewegung der Figur im Dach.

Form
Die haptische Qualität des Umbaus erinnert eher an künstlerisches Handwerk als an Hightech-Konstrukte. Wie in der Papierfaltkunst des Origami aus einfachem Papier durch Faltungen komplexe Formen geschaffen werden, ist auch die aufgewölbte Dachstruktur des Kunst(Zeug)Haus ganz aus dem bereits vorhandenen Material Holz geformt. Und wie beim Origami verschiedenste Arten von Knicken in das Material gelegt werden, um es auch dreidimensional stabil zu machen und zuweilen zwischen den Linien zu verdrehen, müssen sich die Bleche und transluszenten Platten der Dacheinfassung den Geometrien der neuen Dachsparren fügen. Die mehrdimensional gekrümmte Form des Philips Pavillon zum Beispiel, den Le Corbusier mit Yannis Xenakis für die Weltausstellung von 1958 in Brüssel entwarf, lässt sich mit Papier nur durch Faltungen (ohne Schere oder Leim) erzeugen. Der Mathematiker Erik Demaine hat verschiedene Geometrien, auch von Gebäuden, auf gefaltete Grundformen zurückgeführt. Die hyperbolischen Paraboloide des Philips Pavillon lassen sich aus in umlaufende Rippen gefalteten Quadraten herstellen. Es ist dieselbe Faszination, dass nämlich komplexe Geometrien aus einfachen Grundformen entstehen können, die auch beim Kunst(Zeug)Haus greift: In einfacher Zimmermannsarbeit ist der Dachstuhl eines Zweckbaus zu einer poetisch bewegten und bewegenden Form geworden.
Wenn man den Vergleich zwischen dem neuen Dachlicht in Rapperswil-Jona und dem Origami weiterführt, stösst man darauf, dass beim klassischen Origami kein Material angesetzt werden darf. In der neu geformten Konstruktion des Dachstuhls für das Kunst(Zeug)Haus wurden indes Sparren verlängert und sogar verdoppelt. Es sind nicht die transluszenten Platten der Dacheindeckung, die die Regel brechen, es ist die Verdoppelung der Sparrenlage dort, wo das Dachlicht breiter wird und sich über zwei Pfeilerabstände in den Raum ausstreckt. Dieser Regelbruch scheint nötig, um die Figur des für militärische Zwecke streng funktional konzipierten Raums aufzubrechen. Erst der Ausbruch aus der Regel gibt dem Raum seine Grosszügigkeit und Leichtigkeit.

Selbstverständlich hat der Umbau auch unterhalb des eindrucksvollen Dachs Anpassungen verlangt, wie die Einbauten für Café, Garderobe und Toiletten, die als reduzierte, weisse Kuben minimal bleiben, um den Bestand in den Mittelpunkt zu rücken. Daneben gibt es neue Wandradiatoren im Erdgeschoss, elektrische Leitungen für alle Bereiche und an den Holzstützen aufgehängte Feuerlöscher. Offen montiert führen sie ohne zusätzlichen Farbanstrich die Sprache des reinen Zweckbaus in einer Rhetorik der rohen Bauteile fort. Türleibungen aus Tessiner Granit sitzen in der Mauer. Die Steinsockel der Stützen, mit derselben militärischen Disziplin behauen, ragen aus den neuen weissen Trennwänden. Die hinzugefügten Zementplatten auf dem Boden im Ausstellungsraum erscheinen als Variation zum Beton im Erdgeschoss.
Die Materialität des Holzes an der Decke ist einzig in den Ausstellungsräumen durch einen weissen Anstrich zurückgenommen, in den anderen Räumen spannen die Balken dunkel und schwer über den Raum.

Zeit
Das Zeug des Zeughauses sind der Rohstoff seiner Böden, Mauern, Stützen und Decken: Beton, Granit, Holz. Die Abnutzungen sind Zeugen der Geschichte eines Baus, der schon mehrere Umnutzungen hinter sich hat. Die Risse in den Hölzern wie das Flickwerk und die Flecken im Beton bekunden das Alter der Substanz, älter als viele der Robinson Crusoe-Bücher und als alle ausgestellte Kunst. Mit dieser neusten Transformation zum Kunst(Zeug)Haus wird der Bau sogar zum Erzeuger, wenn nämlich Kunst und Architektur im Zusammenspiel einst unvorstellbare Stimmungen schaffen und zu ungeahnten Gedanken und Betrachtungen einladen.



1 Dies die erste Definition im Grimmschen Wörterbuch. Der digitale Grimm, Zweitausendundeins, Frankfurt a.M. 2004.

2 Etymologisches Wörterbuch des Deutschen, dtv, München 1989. Zeug (hergeleitet von ziehen) ist »was benutzt, was herangezogen wird».






Jacqueline Burckhardt, Wer bin ich? - Ich und das Universum
2002
Bundesprojekt, Arteplage Yverdon-les-Bains

Wer bin ich? - Ich und das Universum
Ein Expo.02-Projekt

Jacqueline Burckhardt


Die Landesausstellung, die in der Schweiz seit 1883 zum sechsten Mal stattfand, war im letzten Sommer hierzulande das kulturelle Grossereignis. Zeiten des Enthusiasmus ebenso wie durchlittene finanzielle und personelle Krisen prägten die langen Jahre ihrer Vorbereitung. Zieht man heute, post festum Bilanz, war die Expo.02 ein Erfolg.

Auf dem Programm stand keine ökonomische Leistungsschau, sondern eine Ausstellung, die die Dringlichkeit kulturell geprägter Kräfte in der Wirtschaft, Politik und Gesellschaft propagierte. “ImagiNation” und “Soziale Skulptur” wurden als programmatische Schlagworte im Konzept der Expo.02 hervorgehoben. Die prominenteste Künstlerin der Nation, Pipilotti Rist, übernahm in der Vorbereitungszeit während anderthalb Jahren die künstlerische Direktion.

In vier Städten fand sie statt, in einer Region mit zwei Sprachen (deutsch und französisch) und an den Ufern dreier Seen. Für jeden Standort, Arteplage genannt, wurde ein Thema gewählt: Macht und Freiheit für Biel, Natur und Künstlichkeit für Neuchâtel, Augenblick und Ewigkeit für Murten, Ich und das Universum für Yverdon-les-Bains. Als fünfter Standort kursierte auf den Seen ein Schiff, Arteplage Mobile du Jura genannt. Inhalt und Form der genannten Themen entstanden in komplexen Kooperationen zwischen den Direktoren der Expo.02, nationalen und internationalen Künstlern, Architekten, Szenographen, Filmern, Theaterleuten, Musikern, Schriftstellern, Technikern, Wissenschaftlern, Persönlichkeiten aus der Politik, Wirtschaft und Oekonomie, Intellektuellen, Sponsoren, Bauern und dem Militär. Insgesamt wirkten rund 8500 Mitarbeiter an der Expo.02 mit. 10,3 Millionen Eintritte wurden registriert und 1,6 Milliarden Franken eingesetzt.

Für jede der vier Arteplages engagierte sich auch der Bund (la Confederazione) mit einem Pavillon. Von diesen soll eines, das Bundesprojekt in Yverdon-les-Bains mit dem Thema Wer bin ich?, im Folgenden besprochen werden.

Mit dem Konzept und der Realisation diese Projekts wurden die Architekten Isa Stürm und Urs Wolf und ich betraut. Für die Deckenprojektion und den Ambientsound gelang es uns, die amerikanische Multimediakünstlerin Laurie Anderson zu gewinnen. Es war unsere Ambition, das Thema Wer bin ich? wie auch das Hauptthema der Arteplage Yverdon-les Bains, Ich und das Universum, in der Architektur und Szenographie sinnbildlich zu verkörpern, d.h. Form und Inhalt so stark als möglich miteinander zu verweben.
Da es zur primären Identität des Menschen als Gesellschaftswesen gehört, dass er sich in sämtlichen Kulturen und durch alle Zeiten hinweg mit Zeichen und Symbolen verständigt, deklarierten wir alles in diesem Projekt zum möglichen Symbol- und Zeichenträger. In der Gesamtform und in den Details waren daher immanent auf die Frage Wer bin ich? Antworten angelegt.

Aussen entstand ein nahezu quadratischer Bau mit einer Grundfläche von 36 x 38 m und 18 m Höhe. Die kubische Form war als eine Nicht-Architektur konzipiert. Sein Äusseres erschien wie das gigantisch vergrösserte Bild von einem ausgestochenen Erdziegel, der so tat, als wäre er für die Dauer der Ausstellung hochgezogen worden. Diesem Bild lag die Fotografie eines nur gerade 1,74 m tiefen Schnitts einer exemplarischen Auenlandschaft vor, die wir im Institut für Bodenforschung der Eidgenössischen Technischen Hochschule fanden. Die Fotografie wurde tausenddreihundertfach vergrössert mit Pinsel und Acrylfarbe auf das 2‘312 m2 grosse Baunetz gemalt, die den Gerüstbau zu verkleiden hatte. Seinem Standort gemäss - nur wenige Meter vom See entfernt - musste der Erdziegel lehmig und feucht erscheinen und mit vielen interessanten Schichtungen, Wurzeln und sattem Gras. Zudem wollten wir ihn genau nach den Himmelsrichtungen ausrichten, um seinen Bezug zum Universum zu markieren. Wir bedachten auch, dass wenn der Bund als Auftraggeber auftritt, er als ein Stück Land ausgelegt werden könnte - ein Stück “Schweizer Land” mit all seinen mehrdeutigen Schichtungen und Wurzeln, die auf vitale Vernetzungen nach innen und aussen anspielen, Eigenheiten, die schliesslich auch dem Wesen eines jeden Individuums innewohnen.

Auf die Frage Wer bin ich? wollten wir mit einer Verbindung von Elementarem und Komplexem reagieren und führten daher die vier Elemente der Existenzgrundlage ein: die beiden haptischen Elemente Erde und Wasser, deren hochsensible Gestaltung den Architekten Stürm & Wolf oblag; die Elemente Luft und Feuer in der Kunst Laurie Andersons, ihrem Ambientsound und ihrer Deckenprojektion.
Je näher man dem Erdziegel kam, umso mehr deckte sich ein Spiel mit der Massstäblichkeit auf. Beim Eintritt in das gewaltige Bild wähnte man sich gar auf die Grösse eines Insekts geschrumpft. Zwölf Durchgänge auf drei Seiten führte ins Innere, wobei die Zahl zwölf nicht zufällig gewählt wurde, sondern in erster Linie auf das Zeitelement anspielen wollte. Auch auf Blindeingänge konnte man stossen. Alle Durchgänge hatten unterschiedliche Höhen und Breiten. Vielleicht suchte sich jemand den Eingang seiner Körpergrösse entsprechend aus: ein Kleinwüchsiger mit Napoleon-Komplex möglicherweise den grössten und der dicke Scheue den kleinsten.

Täuschte aussen das Gebäude eine vergrösserte Mikrowelt vor, so geschah in seinem Inneren das genaue Gegenteil. Hier öffnet sich ein riesiger dunkler Raum über spiegelndem Wasser. Laurie Andersons Ambientsound, in den das Rauschen des Windes auf der chinesischen Mauer zu hören war, verstärkte das Empfinden von unendlicher Ausdehnung.

Als Hinweis auf die Möglichkeit verschiedener Lebenswege führten zwölf Stege entsprechend der Anzahl Eingänge über Wasser zu einer Art Insel, die ihrerseits wie ein Symbol für die Gemeinschaft, den Staat oder jegliche Art von Verbund aufgefasst werden konnte. Auf dieser Insel stand ein grosses, sechsteiliges Bett mit rund 60 Liegemulden. Dort legte man sich hinein, um Andersons gigantisches, 1200 m2 grosses bewegtes Deckenbild zu betrachten und mehr noch, um in diesem Bild selbst zu erscheinen. Denn in bestimmten Zeitabständen nahmen verschiedene, in der Decke verborgene Kameras automatisch die Liegenden auf. Knappe Minuten später erschienen diese Fotos computeranimiert ins Deckenbild integriert.

Es handelte sich um das monumentalste digitale Deckenbild, das bis heute geschaffen wurde, das mehr als doppelt so gross wie Michelangelos Deckenmalerei in der Cappella Sistina war. Aus sechs Projektoren im Wasser wurde es nach oben übertragen und bestand im Wesentliche aus zwei Komponenten: erstens, den Fotos der Liegenden, deren Gesicht sich bis auf 20 Meter vergrösserte ,und zweitens, den bewegten Bildern von Laurie Anderson, welche kollektive Identifikationswelten evozierten, etwa die Welt der Kinder oder jene des Todes, die Dingwelt sowie apokalyptische und paradiesische Visionen oder ein All voller Zeichen und Wörter. Es tauchte auch ein Bild unser aller 3,2 Millionen Jahre alten Urahnin “Lucy” auf, die heute in einer Vitrine im Museum of Natural History in New York steht. Andersons Bildkomposition war ein Loop von 10 Minuten. Weil jedoch in ihr immer neue und andere Fotos von liegenden Besuchern erschienen, war die Projektion während der gesamten Dauer der Expo.02 stets verändert und einmalig. Die Besucher erkannten sich face en face als Betrachter ihrer selbst und erhielten so ein seltsam gedoppeltes Leben auf einer raum-zeitlichen Reise.

Stimmen von Erwachsenen und Kindern in verschiedenen Sprachen, teils mit Akzent, drangen aus kleinen Lautsprechern im Kopfbereich der Liegemulden und stellten Fragen zum Themenkomplex Wer bin ich?, Fragen, die die individuelle oder kollektive Person betreffen, ernste, banale, kleine und grosse, lustige, peinliche, beunruhigende Fragen, solche zum Aussehen und zur Befindlichkeit, zur Doppelnatur des Menschen als Vernunft- und Triebwesen. Vielsprachigkeit und Oszillieren zwischen Sprachen und Kulturen gehören in der Schweiz zur unverwechselbaren Identität und schaffen eine Form von Ich- und Wir-Struktur, die von der Identität der Bürger einsprachiger Nationen abweicht. Als wären diese Stimmen die eigenen und inneren der Liegenden, spielten sie auch auf die Vielfalt der Ichs in jedem von uns an.

Den Blick ohne Hindernis nach oben gerichtet, verschmolzen für einen Untersicht und Übersicht, und umgeben vom Ambientsound und den Stimmen fühlte man sich im Zustand der Schwerelosigkeit, im Alpha-Zustand, entspannt und mit hellem Bewusstsein. Der Erdziegel wollte eine Art Bewusstseinsmaschine sein, in der alles auf die Begegnung mit dem Selbst ausgerichtet war. Er war eine ephemere Konstruktion, nur für die Dauer der Expo.02 gedacht und ist heute gänzlich verschwunden. Denn Architektur und Inhalt, Laurie Andersons Deckenbild und ihr Ambientsound, die Stimmen aus den Betten und vor allem die Präsenz der Besucher waren derart aufeinander abgestimmt, dass das eine ohne das andere keinen Sinn machen kann.
***






Bruno Reichlin, Jenseits der Zeichen
2001
Einstellhalle Domat Ems

Jenseits der Zeichen
Bruno Reichlin


Zur Unmittelbarkeit des Wahrnehmens in der Architektur

Der formale und programmatische Richtungswechsel der jüngsten schweizerischen Architektur, der sich in dem relativ kurzen Zeitraum, seitdem die Postmoderne - sei es in Rossis rationalistischer oder in Venturis Prägung - von der Bühne getreten ist, vollzogen hat, forderte ein Überdenken der Deutungsansätze und Kriterien. Dies trifft auf Martin Steinmann zu, der als Leiter von "Archithese" und später als Redakteur von "Faces" nicht nur ein Mentor der jungen Generationen darstellte, sondern in gewisser Hinsicht gegenüber der" minimalistischen " Richtung die Rolle einer "Amme" übernommen hat. Schon vor rund zehn Jahren charakterisierte Martin Steinmann in einem Artikel in "Faces" nach einer ausführlichen Vorrede über die Vorzüge und Grenzen einer semiologischen Annäherung an die Architektur das neu entstehende Szenarium und die damit verbundenen neuen Grenzen der Interpretation. In "Form für eine Architektur - Diesseits der Zeichen" schrieb er: "In der Architektur der Gegenwart kann man eine Neigung feststellen, Bauten als einfachen Körper auszubilden, als Körper, durch deren Einfachheit die Form, das Material, die Farbe eine große Bedeutung bekommen, und zwar abseits aller Verweise auf andere Bauten. Diese Entwürfe setzen sich nicht länger fremde Formen auf als Maske, die verdecken soll, daß sie kein eigenes Gesicht haben. Diese Entwürfe zeichnen sich durch die Suche nach der starken Form aus - nach der Gestalt." 1

Diese Gegenüberstellung von Formen, die zu Bedeutungsträgern werden, indem sie - wie beispielsweise die Signifikate in der Theorie der "unbegrenzten Semiose" von Peirce 2 - auf andere Formen verweisen, und von Formen, die stattdessen unsere Sinne unmittelbar und aus sich selbst heraus ansprechen, diese Gegenüber-stellung gewinnt in einem Beispiel an Substanz. Es handelt sich dabei um eine Lagerhalle für Baumaschinen, die Ende der achtziger Jahre von den Architekten Isa Stürm und Urs Wolf in DomatEms im Kanton Graubünden erbaut wurde. Das Gebäude besteht vollkommen aus Stahlbeton. "Die Halle", so beschreibt Martin Steinmann, "fast 64 Meter lang, bildet einen geraden Körper, der in zwei auskragenden Schutzdächern endet."
Nun haben die Autoren aus diesem simplen Lager "( ... ) einen Bau gemacht, der in erstaunlicher Weise mit den Wahrnehmungsgesetzen verfährt und dabei die Wahrnehmung selber thematisiert."3

Schauen wir, auf welche Weise: Die Lagerhalle schließt oben mit einer sägezahnartigen Bekrönung ab - ein am Abbild, an der Architekturikonographie und Bildsymbolik orientierter Ansatz, der die Assoziationskette "shed", "Fabrik", "Arbeitswelt" nahelegt. Aber dies wird nur soweit hervorgerufen, um den Betrachter zu irritieren. Denn die Sägezähne sind zu niedrig, um einem Bandfenster Platz zu machen. Offenbar ist die "Funktion" dieses Abschlusses von ganz anderer und zwar grundlegend die formale Wahrnehmung betreffender Art. "In Wirklichkeit", so erläutert Steinmann, "empfinden wir diese Linie als eine in die Ebene hinausweisende Bewegung, die in einer spitz auskragenden Blende (...) endet; das heißt als eine Bewegung, die bewirkt, daß wir auch die Form als eine empfinden." Der Betrachterstandpunkt ist ausschlaggebend für die erzielte Wirkung; die Spannung steigt mit der perspektivischen Verkürzung, (...) weil die Steigung der ,gesägten' Linie perspektivisch verstärkt wird. Es entsteht eine Art der Beschleunigung der Bewegung gegen den Betrachter hin, (� )".
"Je nach Standpunkt ... des Betrachters wirkt der kantige Baukörper verändert, lebendig", fassen die Architekten die Gesamtheit der Effekte zusammen, welche Martin Steinmann nach und nach beschreibt. Dabei geht er um den Bau herum mit der Absicht, nachzuweisen, daß gerade jene Effekte, die durch die Interaktion des Betrachters mit den Formen des Objekts entstehen, denselben Betrachter durch eine bereits einsetzende körperliche Involvierung mit dem Objekt gefangen halten. Abschließend bemerkt Steinmann, daß gerade diese Erfahrung der Wahrnehmung das Ziel, die ästhetische Absicht dieser besonderen Formgebung darstellt. Er verhehlt nicht, daß solcherart Objekte und folglich auch die besondere Art der analytischen Annäherung seitens des Kritikers diesen in eine unbequeme Lage versetzen. Wie soll er eine kritische Distanz bewahren, oder jedenfalls so tun, als ob er sie hätte, wenn von einer Erfahrung zu berichten ist, die im Hier und Jetzt an die Subjektivität des Kritikers appelliert, sowie von einer persönlichen "Empfängnisbereitschaft" gegenüber Eindrücken wie "offen versus geschlossen, hell versus dunkel, stark versus schwach, schwer versus leicht, stabil versus labil, gerade versus schräg, Bewegung versus Bewegungslosigkeit, erleichterte versus erschwerte Bewegung ( ... )".
Aus diesem Grund, so Steinmann, kann die Analyse nicht "die eigene Wahrnehmung . .. ersetzen, die - gerade in diesem Fall- eine Wahrnehmung der körperlichen Wirklichkeit sein muß. Sie kann bestenfalls die Sinne schärfen für die Wahrnehmung dieses Werkes." Gegenüber dieser Nutzungsart bleibt dem Kritiker nur die "Gebrauchsanweisung" zu liefern.


Der warme Bauch der Architektur

Die von diesen "Anleitungen" aufgeworfenen Fragen, die von ihnen aufgezeigten Interpretationswege und die von ihnen angeregten allgemeinen Überlegungen über den Arbeitsstatut der Kritiker rechtfertigen eine genauere Untersuchung. Dies auch deshalb, weil die jüngere Ar-generation ein wachsender Widerwille kennzeichnet gegenüber jeglichem theoretischen Konstrukt, jeder Schluss-folgerung oder Erklärung, die sowohl die schöpferische Sinngebung in der Projektierungsphase als auch die kritische Rezeption des Werkes in einem rationalen Diskurs zu erfassen versucht. Dieser Widerwillen ist besonders groß, wenn der Deutungs-ansatz sich einer historischen Methode bedient, um Genealogien und Familien zu bilden, und damit das Werk durch den Verweis auf Anderes in gewisser Hinsicht "entleert" und in dem weiten Meer des bereits Gesagten und bereits Getanen ertränkt.

Distanziert, rein kausal oder manipulierend? Der Symbolismus Venturis oder die rational-poetischen Analogien von Rossi schienen die warme Vereinigung mit dem Körper der Architektur kalt zu lassen, die Vereinigung mit jenem Etwas, das man als ursprünglich, grundlegend, natürlich, archetypisch, vorübergehend, mehr in der Welt der Sinne als in der der Zeichen verankert und auf jeden Fall als "physischer", ergreifender, als "Mehr Stimmung
Hervorrufendes" bezeichnen möchte. Um diesen warmen Bauch der Architektur zu benennen, befreit Steinmann sowohl die gestalttheoretische Annäherung an die Architektur Rudol Arnheim 4 als auch den über hundertjäh-rigen Flirt der Kunstwissenschaft mit der einst die Vorreiterrolle einnehmenden Psychologie aus ihrer Verban-nung in die Vorhölle. Diese Neubetrachtung führt zum Überdenken der Tatsache beziehungsweise des Einge-ständnisses oder Glaubens, daß wir die Dinge nicht notwendigerweise als Zeichen wahrnehmen.

"Sicher", fährt Steinmann fort, "sie sind auch Zeichen. Aber ihre Wirkung beschränkt sich nicht auf die Bedeutung beziehungsweise darauf. daß wir ihre Bedeutung verstehen. Es gibt eine Wirkung, die von dem ausgeht, was da ist, von der Form, und nicht von einer Bedeutung, die aufgrund einer Konvention mit der Form verbunden ist ( so dass wir die Konvention kennen müssen, um die Form zu verstehen). Es gibt eine unvermittelte Erfahrung der Dinge. Sie nimmt nicht die Stelle der Bedeutung ein, die man als eine Erfahrung verstehen kann, die durch eine Konvention vermittelt wird." 5

Weiter unten im Text gewinnt diese Feststellung die Züge einer Theorie, welche die Entwicklung der kritischen Annäherung an ihren Gegenstand, das heißt der Architektur des letzten Viertels des 20. Jahrhunderts, parallel setzt. "Die Semiologie hat in den vergangenen zwanzig Jahren einen äußerst wichtigen Beitrag geleistet, indem sie den Mechanismus des Bedeutens erkennbar gemacht hat. Dabei ist aber auch mehr und mehr klar geworden, daß Formen Empfindungen bewirken können, die ihren Grund nicht in anderen Formen haben, auf die sie verweisen, und diese auf wieder andere Formen ... Diese dauernde Regression ist die Grenze der Semiologie: Es muß einen Punkt geben, an dem Formen ihre eigene Bedeutung sind. Das entspricht auch der Feststellung, daß wir von Dingen fasziniert sind, ohne daß wir unsere Empfindungen aus einer früheren Erfahrung mit gleichen Dingen erklären könnten. Es muß Formen - oder eben Gestalten - geben, die unabhängig sind von der Erfahrung des einzelnen: Formen, die ihren Sinn in der Beziehung zu grundlegenden Gesetzen der Wahrnehmung finden." 6

Dies erklärt, so Steinmann in einem späteren Text, warum "viele Vertreter der neuen (schweizerischen) Architektur sich gleichzeitig mit der Semiologie von der Theorie im Allgemeinen befreit haben, welche sie anscheinend als eine Falle empfanden." 7 Hier kann der Autor, obwohl er sich der Verteidigung dieser jüngsten Architektur widmet, der Versuchung eines Seitenhiebs in Richtung einer gewissen aufgeblasenen intellektuellen Armut nicht widerstehen: "Sie nehmen die Aussage Stellas beim Wort, 'man sieht, was man sieht', anstatt als Anregung, über das Sehen nachzudenken." 8

Damit haben wir die Elemente zusammen, die eine anregende Annäherung an die Architektur ausmachen. Dabei läuft diese jedoch Gefahr, in entgegengesetzter Richtung ebenso eindimensional zu sein, wie es der semiolo-gischen Untersuchung vorgeworfen wurde. Vollzog sich tatsächlich "eine Verschiebung der Architektur-analyse von den Objekten als Zeichen hin zu den Objekten als Formen und von ihrer Bedeutung hin zu ihrer Wahrnehmung, aus der wiederum keine Konventionen hervorgehen " 9, dann stellt sich die Frage, ob die Anregung zum Nachdenken über das Sehen die Frage nach ihrer möglichen (unausweichlichen?) semasio-logischen Dimension übergehen kann.

In der Architekturanalyse hat man allgemein zu wenig darüber nachgedacht, was die Begriffe Zeichen, Konvention, Kodex oder Wahrgenommenes, Empfindung und Effekt tatsächlich benennen. Es ist unklar, was unter unmittelbarer Wahrnehmung zu verstehen ist; es ist unklar, ob die subjektiv als unmittelbar empfundene Wahrnehmung tatsächlich vorhergehend ist und wirklich vor dem zeichenhaften Erkennen und der wie auch immer gearteten visuellen Bedeutung liegt. Es ist weiterhin nicht klar, ob man ein Sehen voraussetzt, das nicht unmittelbarer Vergleich ist, nicht etwas, das man vor das Muster des Bekannten, des Ähnlichen oder des Anderen legt. Man muß fragen, was ein Sehen diesseits des zeichenhaften Erkennens ist, und, falls es ein solches gibt, welche Position man ihm innerhalb einer Architekturästhetik einräumen kann; oder Jenseits der Zeichen allgemeiner, ob es überhaupt sicher ist, daß eine Unterscheidung zwischen dem nicht zeichenhaft Wahrgenommenen und dem wahrgenommenen Zeichen, zwischen Allgemein-gültigem, Unmittelbarem einerseits und dem wahrgenommenen, mittelbaren, kognitiven, kulturell bestimmten und damit von einem institutionalisierten Wissen abhängigen Zeichen andererseits kategorisch unterschiedliche Dinge benennt. Oder schaffen solche Unterscheidungen letztlich nur eine Aura von Plausibilität und verfestigen Vorurteile über die Wahrnehmung und die Erkenntnis (wodurch sie eine Art epistemologisches Hindernis bilden 10), statt theoretische Überlegungen und vor allem Experimente auch mittels von Projekten über und um die Wahrnehm-ung herum anzuregen.


Mehrdeutige Bilder

Einige Beispiele veranschaulichen die Schwierigkeit und möglicherweise auch die Unangemessenheit, bereits eingangs Empfindungen und Zeichen zu trennen, auch wenn sie sich nicht auf Architektur beziehen, sondern Klassiker der Studien zur Wahrnehmung sind. Es handelt sich um das Bild" Pferd und Reiter" von Hermann A. Wilkin und um die Fotografie eines Dalmatiners, die uns Ronald C. James zur Entschlüsselung vorlegt. Auf den ersten Blick scheinen die Bilder nicht entzifferbar zu sein, da der Betrachter nur schwarze und graue Flecken auf weißem Grund erkennt. Aber sobald der Betrachter durch die Benennung des Bildgegenstands auf die richtige Fährte gesetzt ist, erscheinen ihm auf dem Blatt Pferd und Reiter beziehungsweise Hund. Danach ist es unmöglich, sich wieder von dem Bild des Hundes, seines Schattens und des Sandstrands zu befreien und - wie noch augenblicks zuvor lediglich bedeutungsfreie Flecken zu sehen. Die Frage, was die visuellen Konzepte" Pferd", "Reiter" und" Dalmatiner" hervorgerufen hat, reichen wir an die Neuropsy-chologen oder Wahrneh-mungspsychologen weiter und begnügen uns damit, angesichts solcher Fälle wachsam zu bleiben. Vielleicht sind die noch überraschender ausgeklügelten Fotomontagen des schweizerischen Fotografen Bernard Voita von der gleichen Art wie die des Dalmatiners.'2 Auch hier kann es dem unvorbereiteten Betrachter passieren, dass er keine Gegenstände erkennt. Aber sobald ihm geholfen wird oder je mehr er damit vertraut ist,mehrdeutige Bilder zu entziffern, wird er in merklich voranschreitender Enthüllung zahlreiche Objekte erkennen, die durch die ungewöhnliche Raumkomposition zunächst verborgen blieben.

Ist es unklar, ob man hier von einer" Kodierung" sprechen kann, so handelt es sich im Falle des Porträts von Strawinski, das Picasso um 1917 während eines gemeinsamen Romaufenthaltes zeichnete, mit Sicherheit um einen visuellen Kodex. Allerdings schenkten die mißtrauischen schweizerischen Zöllner von Chiasso der Aussage des Musikers nicht einen Augenblick Glauben, der sich als den lebenden Beleg seiner Behauptung betrachtete. "Dies ist kein Porträt, sondern ein Plan, antwortete man mir", berichtet Strawinski in seinen Memoiren, und der in Kriegszeiten verdächtige" Plan" wurde beschlagnahmt. Heißt das, ohne einen Lesekodex, ohne ein allgemein verständliches Zeichensystem gibt es keine unmittelbare Wahrnehmung? Zur weiteren Veranschaulichung der problematischen Natur der visuellen Wahrnehmung sowohl hinsichtlich der Art des Objekts als auch hinsichtlich des beobachtenden Subjektes ist als Kuriosität noch von einem Fall zu berichten, der der Frage eine historische Dimension verleiht. Michael Baxandall berichtet, wie Francesco Algarotti (1737) einigen Damen die Newton'sche Farbtheorie erklärt. Bei Algarotti ist zu lesen: "Die Farbe, die ich auf den Wangen habe, soll sich, wie der Herr selbst beurteilen kann, tatsächlich auf meinen Wangen befinden, während die Farben des Prismas' oder des Regenbogens nur bloßer Schein sein sollen. Seien Sie bitte so freundlich, erklären Sie mir dieses Paradox, das mich verwirrt (�) . "Aber'" gab ich zur Antwort, "all dies vereinfacht tatsächlich die Dinge, da man nicht mehr wie früher zwischen ,echten' und ,scheinbaren' Farben zu unterscheiden hat. Selbstverliebtheit und Selbstwertgefühl, die Euch dazu verleitet haben, um den Verlust ,Euer Milch und Blut', wie man im edlen Ton der Schäferdichtung sagt, zu fürchten, haben diesmal über Eure Liebe zur Schlichtheit gesiegt ... Die Körper bestehen aus nichts anderem als aus einer bestimmten Anordnung und Lage ihrer Teile, und die Lichtpartikel nehmen unterschiedliche Drehbewegungen auf, in die dieselben Teile sie versetzen: dann regen und schlagen diese Partikel auf eine besondere Art die Nerven der Netzhaut an, welche ein sehr dünnes Häutchen oder eine Membran ist, die sich im Grunde des Auges befindet, und diese unterschiedlichen Schwingungen lassen uns verschiedene Farben erfassen, die unser Geist mit jenen Gegen-ständen verknüpft, von denen die visuellen Strahlen ausgegangen sind. Aber ich glaube, man kommt, um uns mitzuteilen, daß angerichtet ist. Schauen wir einmal, welchen Geschmack unsere Mahlzeit heute morgen haben wird, oder welchen Geschmack unser Geist ihr verleihen wird." - "Unser Geist?", rief die Marquise auf während sie mich ansah." 14

Nicht nur die Freude am Scherz verleitet zur Frage, welchem Effekt unser Geist geneigt ist, den schönen Bauten eines Peter Zumthor, eines Valerio Olgiati, eines Marcel Meili und Markus Peter oder - um auf ein von Martin Steinmann herangezogenes Beispiel zurück-zukommen - der Architekten Isa Sturm und Urs Wolf zu verleihen? Die Versuchung ist groß, daß man dasjenige, was uns subjektiv ein unmittelbarer, durch bestimmte physische /materielle Eigenschaften des Gegenstandes hervorgerufener Eindruck des Bewusstseins zu sein scheint, für einen reinen Sinneseindruck hält, der jenseits und außerhalb jeglicher kultureller und kognitiver Beeinflussung erfahren wird. Ebenso offensichtlich wird in bestimmten historischen Phasen (mehr als in anderen) bestimmten Künstlern (mehr als anderen) eine fast schamanenhafte Rolle zuerkannt, solche Gegenstände eher intuitiv als mit der Kenntnis eines Technikers und Wissenschaftlers zu erstellen.


Die poetische Ausdruckskraft der Synästhesie

Natürlich können und sollen hier nicht die Ansichten über die Wahrnehmung etwa eines Rudolf Arnheims entkräftet oder bestätigt werden. Hier reicht die bescheidene These, daß zu einem bestimmten Zeitpunkt für bestimmte Nutzer - die produzierenden Architekten, das nutzende Publikum - bestimmte Formen tatsächlich "Wahrnehmungsempfindungen " hervorrufen, die "anders" als andere registriert werden. Doch nun scheint man in einem zweiten Schritt die kulturelle, soziale und ideologische Funktion einer solchen Vorstellung hinterfra-gen zu müssen. Und das aus mindestens zwei Gründen: Auch die Bildung der fünf Sinne ist eine Arbeit der ganzen bisherigen Weltgeschichte (Karl Marx), und deshalb können sich auch diese Vorstellungen irgendwie nicht dem mythischen Denken entziehen. In seinem scharfsinnigen, dokumentationsreichen Werk "De I'audition colorée ou du bon usage d'un mythe" (..Vom farbigen Hören oder der guten Anwendung eines Mythen") 15 zeigt Philippe Junod einen Weg auf. indem er sich daran orientiert, was er als "harten Kern" von Jahrhunderte währender Spekulation über die Synästhesie definiert. "Das farbige Hören", "neuralgisches Zentrum eines weiten Netzes von Übereinstimmungen, welches sich um das Dreieck der bildenden Künste, der Literatur und der
Musik spannt, fordert die Möglichkeit eines direkten und natürlichen Übergangs von der Welt der Töne zu jener der Farben ein." 16
Wie der Autor überzeugend darlegt, reichten die Belege und Analysen der synästhetischen Übereinstimmungen zwischen Tönen und Farben vom "objektivistischen" Ansatz, der von der physischen, schwingenden Natur der audiovisuellen Phänomene ausgeht, bis hin zu anderen "subjektivistischen" Ansätzen, die den Schlüssel des Phänomens in den Wahrnehmungsmechanismen suchen, wobei Argumente sowohl wissenschaftlicher, symbolischer als auch kosmologischer Art bevorzugt werden. Junod stellt fest, daß die poetische Ausdruckskraft der Synästhesie nicht mehr bewiesen werden muß, sie dränge sich auf "als eine unersetzliche Bereicherung unserer Wahrnehmung der Welt". 17 Auch wenn die vergleichende, systematische Untersuchung der Übereinstimmungen, welche in unzähligen Texten zu diesem Thema festgestellt wurden, eine derart große Spannbreite aufzeigt, daß sie jede wissenschaftliche, ihre vermeintlichen Assoziationen in Formen und der Physiologie festmachen wollende These ungültig macht, so zeigt eine Anthropologie der Sensibilität doch, daß sich hinter den Unterschieden Regelmäßigkeiten wie statistische Häufungen, Familien und Genealogien verbergen, die doch regelrechte, der historischen Deutung zu unterwerfende kulturelle Fakten darstellen.

Unter historischem und anthropologischem Gesichtspunkt ist es nun von Interesse herauszuarbeiten, wie und wann die Überzeugung auftaucht, daß eine graphische, gemalte, plastische oder architektonische Form eine" Bewegung" ausdrücken kann und welche Bewegung; wichtig ist es, festzustellen, ob die gleiche Form im Laufe der Zeit immer die gleiche Bewegung "ausdrückt" und wann und wie sich eine Änderung der Wahrnehmung vollzieht. Unter diesem Gesichtspunkt ist es auch von grundlegender Bedeutung zu erfahren, wie und wann diese " Formen des Gefühls", diese "Grammatik" der Effekte und Affekte sich verbreitet - sei es in populär-wissenschaftlichen Veröffentlichungen, in Künstlerkreisen, in den Schulen, in der formalen und informellen Ausbildung des Gemeinsinns oder bis zur Hypostase, bis sie die Evidenz einer Tatsache erlangt, bis sie pawlowsche Reflexe, ästhetischen Genuß und das Wedeln der in die Geheimnisse der Form eingeweihten .,Fans" hervorruft. Man gehe nur die von Ruskin in seinen "Stones of Venice" gegebenen Beispiele durch, die praktischen Anweisungen, die Walter Clane jungen Zeichnern gibt, die architektonische Physiognomik des jungen Wölfflin, von Lipps und Wundt,1a die Programme für die "Schule des Sehens" von Kandinsky, Albers, Beyer, von Klee oder Moholy-Nagy, von Bauhaus und New Bauhaus, von der School of Design und den unendlichen Missionen des wahren Wortes desModernismus. Dabei wird man sich der "Gehirnwäsche" bewußt, die besonders der gebildete Teil der westlichen Zivilisation über ein Jahrhundert lang gerne "gelitten", wenn nicht gar herbeigesehnt hat. Nur allzu leicht zu belächeln sind die tektonische Empathie, die Rudolf Metzger in seiner Veröffentlichung" Die dynamische Empfindung in der angewandten Kunst"19 erklärt, oder die "anthroposophischen" Metaphern, die Rudolf Steiner publikumswirksam in "Wege zu einem neuen Baustil" 20 verbreitet hat. In der Nachkriegszeit haben sich die Kunsthistoriker angesichts eines sich ausbreitenden Impressionismus der Kritik, zu dem die Empathie- und Gestalttheorien die vorhergehenden Generationen berechtigt hatten, eine regelrechte Entziehungskur von der Interpretation verordnet. Allerdings hilft diese virtuose Zurückhaltung kaum, die Welt zu begreifen, solange Künstler und Nichtkünstler sich weiterhin Angst einjagen und "ästhetische Schauder" zufügen, indem sie auf "Spezialeffekte" zurückgreifen? Tatsache ist, daß sich ein wachsendes Bewußtsein von der Vielfältigkeit und der Relativität unserer Beziehung zur Welt nicht in die akademisch "autorisierten" Forschungsstränge untergliedern kann, sondern das Risiko auf sich nehmen muß, dieser vielfältigen Sensibilität in ihren unendlichen Verästelungen zu folgen und davon gegenüber der Kritik Rechenschaft abzulegen: "Form" für Form, "Meinungsbildner" für geheimen Verführer, "schamanenhafter" Künstler für Auktionator. Einige Lesarten sollen im Folgenden einem solchen Vorhaben einige Chancen eröffnen.


Zwei Arten, Architektur zu erleben und zu genießen.

Die von Peter Behrens 1908 im Auftrag der AEG errichtete Turbinenhalle und besonders deren mächtige Eckpfeiler, die trotz gegenteiligem Eindruck bar jeglicher statischer Funktion sind, haben unzählige Kommentare hervorgerufen. Hier sind nicht die Angaben von Peter Behrens selbst, seines "Ruhmesbiographen" Fritz Hoeber und des umsichtigen Partner-Ingenieurs Karl Bernard auszugraben und auch nicht die Kritiken von Walter Gropius und Mies van der Rohe oder die feinsinnigen Analysen aus jüngerer Zeit von Julius Posener, Tilmann Buddensieg oder Karin Wilhelm. 21 Es geht vielmehr um eine Unterscheidung, die Behrens zur Rechtfertigung der angewandten Lösung selbst vorgeschlagen hat. Diese Unterscheidung ist sich einerseits des in der allgemeinen Sensibilität "angekündigten" Wandels durchaus bewußt und deckt anderseits bei Behrens und vielen seiner Zeitgenossen das Nebeneinanderbestehen zweier Arten, Architektur zu erleben und zu genießen, auf, nämlich die "empfundene" und die "semiotische" Art. Beide zeichnen sich in der geforderten Unterscheidung zwischen "rechnerischer" und "dargestellter Stabilität" sowohl bei Behrens als bei Gropius ab, ohne sich Begriff für Begriff zu entsprechen. 22 Die Eckpfeiler aus großen Betonpfeilern sollten in der Wahrnehmung einen unmittelbaren und intuitiven Eindruck von Stabilität hervorrufen, um die "Körperlich-keit" des Gebäudes zu unterstreichen und den Effekt eines optisch haltlosen" Vogelkäfigs" zu vermeiden 23 - ein Effekt, welcher ihrer Meinung nach den auf der Ausdrucksebene zu zahlenden Preis darstellte, wenn beispiels-weise bei der Konstruktion von eisernen Gitterbrücken oder Fabrikbauten aus Glas- und Eisenkon-struktionen allein die Berechnungen berücksichtigt wurden. Es ist unwesentlich, ob die Ausdrucksmittel dieser Stabilisier-ung auf der Ebene der Wahrnehmung illusionistisch sind - das" Kunstwolien" fordert es, meinte Behrens, und schon nach Riegl stand das "Kunstwollen " mit den Anforderungen der Materie auf Kriegsfuß. 24

Dennoch will Behrens auch der" rechnerischen Stabilität" gerecht werden, wobei es sich um eine Botschaft handelt, die den Kriterien der semasiologischen Deutung entspricht. So sind, nach Behrens, die Betonecken "horizontal durch Eisenbinder unterteilt, um dadurch als Füllungen zu erscheinen".25 Auf Drängen seiner Kritiker präzisiert er 1917 die Dekodifizierung: "Die beiden Eckpfeiler haben nur verbindende und schließende Funktion. Gerade darum sind sie aus einem anderen Material, nämlich Beton, und stehen durch ihre horizontal gegliederte Struktur im Gegensatz zum Vertikalismus der Konstruktion, und da sie nicht Stabilität vermitteln, ist ihnen auch die schräge Lage, die die Fenster zeigen, gegeben. "26 Karin Wilhelm kommt in ihrer Abhandlung zu dieser Kontroverse zu folgendem Urteil: "Es ging Behrens also eindeutig um die ästhetische Wirkung, wobei er über die wirklichen konstruktiven Verhältnisse keineswegs hinwegtäuschen wollte. An diesem Widerspruch, den der Bau trotz aller Bemühungen seines Architekten nicht leugnen kann, liegt - wie ich meine - ein Grund seiner besonderen Faszination." 27

Das drängt zu einem Kommentar, auch wenn die Faszination der Turbinenhalle tatsächlich in der offensicht-lichen Doppeldeutigkeit des Ausdrucks liegt. Behrens weiß, daß der Dreigelenkrahmen, insofern er die vertikale Stütze bei dem sicht- und greifbaren Gelenk auf ein Minimum reduziert, die Erwartungen des Betrachters durch ein ungewöhnliches Bild zersprengt, das durch den Eindruck von Stabilität aufgewogen wird. 28 Weniger sicher aber ist, ob sich Behrens' ästhetische Absicht auf diesen Effekt reduzieren läßt. Tatsache ist lediglich, daß die rationale, diskursive Botschaft mit Zeichen arbeitet und somit in den Code Eingeweihte anspricht. Mit anderen Worten: Wir hätten es mit einer komplexen ästhetischen Botschaft mit zwei Registern zu tun! Der Gedanke an diese zwei Register, das sinnliche und das intellektuelle, scheint nicht neu zu sein. Er läßt sich zumindest bereits bei Schopenhauer finden, und zwar besonders in dem der Architektur gewidmeten Nachtrag "Die Welt als Wille und Vorstellung". Fast stellt sich die Frage, ob die Debatte des 19. Jahrhunderts über die Tektonik und das, was daraus für die Theorien und Poetiken der Modernen, der Postmodernen und jener, die sie zu Grabe getragen haben, folgt, nicht an Klarheit gewinnen würde, wenn es die Abenteuer und Abwandlungen dieses Begriffspaares berücksichtigte. 29

Wie die Kritiker einhellig feststellen, erteilte Gropius seinem Lehrer mit der Fagusfabrik eine Lektion. Die bündig mit dem Gesims abschließenden Glasfassaden erzeugen einen Eindruck von zweidimensionaler Leichtigkeit, während die leicht zurückspringenden Backsteinpfeiler wie Säulen die Festigkeit des Konstruktionsskeletts bestätigen sollen. In Alfeld an der Leine ist die Lösung klarer und eindeutiger, die " neue Konstruktion" wird manifest. Tatsächlich bedurfte es des Scharfsinns eines als Sherlock Holmes auftretenden Architekten, um herauszufinden, daß die gläserne Ecke der Fagus auf Kosten eines Konstruktionsartefakts erzielt wurde, der die semiotische Stichhaltigkeit der Eckpfeiler der Turbinenhalle gar nicht standhalten kann. Gropius selbst wird Jahre später zugestehen, daß es sich um eine wirklich ungeschickte Lösung, um eine "rather clumsy construction" 30 handelte.

Doch es kommt noch besser. Nikolaus Pevsner ist derart von seinem Wissen über die Programmatik der Moderne beeinflußt, daß er die offenkundig überdimensionierten Backsteinpfeiler der Fagus für "zu schlanken Stahlelementen reduzierte tragende Pfeiler" 31 hält. Ist Wissen Sehen? Die Anstrengungen mancher modernen Architekten, eine Übereinstimmung zwischen dem Eindruck von Stabilität, der Semiotik der Konstruktion und der faktischen, materiellen und technischen Realität des Gebäudes zu erlangen, machen ein typologisches Inventar der vorgebrachten Lösungen geradewegs zu einer unaufschiebbaren Aufgabe der aktuellen "Tektonik-studien".

Doch um aktuelle Beispiele zu bringen: Bei seiner Präsentation der Thermen von Vals berichtet Peter Zumthor über seine grundlegenden Absichten klar und überzeugend: "Die neue Konstruktion ist eine grasbedeckte, große Steinmasse, die in den Berg versenkt ist, mit dem sie eine Einheit bildet - ein einsames Objekt, das sich der Integration mit den bestehenden Strukturen entgegenstellt, um (�) eine intensive Beziehung mit der Urkraft und der Geologie der Berglandschaft zum Ausdruck zu bringen (�). Berg, Gestein, Wasser, Bauen aus Gestein, mit Gestein, im Berg, außerhalb des Berges bauen, sich im Berg befinden: der Versuch, dieser Reihe von Wörtern eine architektonische Interpretation zu verleihen, hat das Projekt gelenkt (�). Es ging darum, mit der mystischen Natur einer steinernen Welt im Berg zu arbeiten, mit Dunkelheit und Licht, mit Lichtreflexen auf dem Wasser und in dampfgefüllter Luft, mit den unterschiedlichen Klängen, die Wasser in Räumen aus Gestein hervorruft, mit heißen Steinen und nackter Haut, mit dem Baderitual. "32

Wer die Thermen besucht hat und über ein Minimum an architektonischer Sensibilität verfügt, wird all dies spüren und erahnen. Die Gneisquader von Vals, die so flach sind, als würden sie von der Last erdrückt, verwandeln sich in grüne Vibration, die wundersamerweise mit allen Grüns des Wassers verschmilzt, denn das Grün des Wassers wandelt sich je nach dem Licht und der Dichte in viele verschiedene Grüns. Der Erdeffekt eines " großen porösen Steines" ist mit dem bloßen Auge greifbar. In den Thermen von Vals scheint das Wasser auch deshalb aus der Tiefe des Felsens zu entspringen, weil im Becken kein Material eine Schwelle oder einen Rand markiert; deshalb versinken die Steinpfeiler im Wasser wie die Wände einer Grotte. Andere Effekte tragen zu dem Eindruck - zur Idee! - eines unterirdischen Raumes bei: Vom Eingang des Hotels aus, den wir den Berg hinaufsteigend erreicht haben, ohne die Thermen jemals zu sehen, sind wir stetig einen Tunnel hinunter-gegangen, ohne zu wissen, wohin er uns führt; dann sind wir Rampen und Treppen hinabgestiegen,bis plötzlich Tageslicht von oben hereinfiel durch etwas, was auf den ersten Blick wie Lücken zwischen enormen, auf riesigen Pfeilern ruhenden Platten erschien und damit eher einer geologischen alseiner konstruktiven Logik folgte. Von wegen Symbole und Zeichen, diese Dinge "spürt man in den Eingeweiden", wie Architekten der alten und neuen - Schule der Empfindungen sagen würden.

Aber die Thermen sind nicht - wie beispielsweise ein Gemälde von Hartung - der Ekstase einer augenblick-lichen Geste entsprungen. Auch handelt es sich nicht um Richard Serras riesige Metallplatten, denen wir uns auf Fußspitzen nähern, damit nicht das Gewicht und die rohe Kraft wiedererweckt wird, die in ihnen bis zu dem vorhersehbaren Zusammenbruch schlummern. Die Thermen von Vals sind, wie jedes Bauwerk, ein "Erzeugnis". Alles ist Entscheidung, Kalkulation, alles will sein, alles fordert eine klare, rationale Kontrolle. Nicht zwischen Beckenwand und -grund und den aufsteigenden Wänden unterschieden zu haben, bedeutet eine technische Kraftleistung und die Entscheidung eines raffinierten Semiologen. Man stelle sich vor, was aus dem Effekt von Wasser- und Gesteinsmassen geworden wäre, hätte der Gneis von Vals dem Weiß des Carraramarmors geähnelt. Sicherlich hätte der Architekt andere Register gezogen oder andere Gesteinsarten gewählt.


Die physische Qualität der Objekte

Wenn ein Architekt also auf der Höhe seiner Kunst entwirft, plant er die Effekte mit voller Absicht ein. Über diese Arbeit hinter den Kulissen reden Maler, Bildhauer und Architekten traditionell wenig. Anders liegt der Fall bei Schriftstellern. Ein Meister der Enthüllungskunst ist Edgar Allan Poe, der in "The Raven" die Fräuleins,Damen und sensible Leser mit schwermütigen Versen und tiefgründigen Wahrheiten zu Tränen rührte, und sich darauf die perfide Befriedigung gönnte, darzulegen, wie er diese" Rührungsmaschinerie" in Gang gesetzt hat, wobei er eine komödiantenhafte Geschicklichkeit in der Manipulation desallgemeinen Empfindungskodexes an den Tag legte. 33

Unter den Architekten war es Philip Johnson, der es im September 1950 in der "Architectural Review" wagte, mit den Quellen und der Kompositionsalchemie herauszurücken, die ihn zu seinem Anwesen in New Canaan "inspiriert" hatten. Mit diesem Entweihungsakt widersetzte sich Philip Johnson dem Mythos, daß der Architekt zu seinen Einfällen kommt, wie die Jungfrau zum Kinde, 34 und verdiente sich so wohl auch den Ruf, einer jener von der Kunstgeschichte überlaufenen diabolischen Abtrünnigen zu sein. Sein Feriensitz liefert auch das schwindelerregendste Beispiel für eine unbegrenzte Semiose - "diese dauerhafte Regression" (Steinmann) - in der modernen Architektur. Poussins mythologische (und römische Landschaft), die - aus dem Mies-Fauteuil betrachtet - in die idyllische Landschaft des Connecticut überzugehen scheint, die wohlverstanden von Philip Johnson "arrangiert" wurde, stellt ein regelrechtes architektonisches Musterbeispiel einer "mise en abyme" dar, in dem Sinne, den Andre Gide dieser Figur verliehen und in "Die Falschmünzer" meisterhaft veranschaulicht hat. 35

Was den Kaskadeneffekt von Verweisen bei den Thermen von Vals anbelangt, haben wir schon Grotte und Erdraum genannt. Doch trugen bei mir zur gespürten Raumempfindung auch die - wie in einer plötzlichen Eingebung manifest werdenden - Assoziationen der Hölle in Terragnis "Danteum" bei (so wie ich es mir von Zeichnungen her vorstellte) und des Monuments der Fosse Ardeatine. 36

Doch kehren wir zu dem Anwesen in New Canaan zurück. Die Verdoppelungen, Trugbilder, Doppeldeutigkeiten, Paradigmen, Ersatzvornahmen und Funktionsträger lösen die Objekte in intellektuellen Verknüpfungen und der ungreifbaren Materie der Gedanken, die sie dennoch hervorrufen, auf und scheinen sie zu verflüchtigen. Philip Johnson führt mit dem am stärksten von literarischen Resonanzen erfüllten Eingriff, nämlich mit dem Pavillon-Haus der Zwerge 37 und dem Mini-Springbrunnen in einer Pfütze oder Teich unterhalb des Glashauses, eine Formel ein, die die Aufmerksamkeit des Betrachters gerade auf die physische Qualität der Objekte, das heißt auf deren Dimension lenken soll. Die Maßstabslosigkeit des Pavillons in dem Minisee erzeugt nämlich eine optische Täuschung, die die Einschätzung der Entfernung vom Glashaus trügt: eine Entfernung, die von dieser modernen Folie zum Glashaus hin etwas geringer erscheint als in umgekehrter Richtung. Nun sind es genau Wahrnehmungstäuschungen dieser Art, die anscheinend durch eine fehlende Übereinstimmung zwischen monokularer und bikularer Sicht entstehen und die den Gedanken bestärken, daß es Effekte gibt, die außerhalb jeglicher Code-Kompetenz entstehen. Hätte Johnson hier etwa versucht, aus dem Zirkelschluß der Zeichen herauszukommen, indem er einen rein physischen Kreis visueller Effekte anlegte? Vorläufig ist festzustellen, daß die optische Täuschung von Johnsons Pavillon uns mit dreierlei schwer voneinander zu trennenden Arten der Objekterfahrung konfrontiert: Dabei erscheint erstens der Effekt der Maßstabstäuschung wie eine physische Eigenheit der Sache selbst, die unabhängig von jeglicher unserer Zeichenkompetenz agiert. Zweitens, wenn wir den Standort ändern, verändert sich dieser Effekt; damit drängt er sich als das Ergebnis einer irreführenden Interaktion zwischen den Eigenschaften des Objekts und dem Sehverhalten auf, wodurch sich unsere Aufmerksamkeit beim Schauen, sozusagen" über die Schulter", auf uns selbst richtet. Diese zweite Art der Objekterfahrung erzeugt die dritte, insofern sie dem bewußten Erkennendie Formel der optischen Täuschung hinzufügt und damit das Eintauchen in die Isotopie "Parks und Gärten" 38 mit der gesamten Serie von Assoziationen,die ihr anhaften: Miniaturwelt, Sinnestäuschung, Tradition des Illusionismus, der Wahrnehmung und anderes mehr. Und an dieser Stelle kann die Flucht von Assoziationen eine plötzliche Wahrnehmungs-atrophie erzeugen, die von Künstlern so sehr gefürchtet wird, wie Philippe Junod in seiner Studie" Transparence et opacite" (.. Transparenz und die Undurchsichtigkeit des Kunstwerkes") überzeugend darlegt 39

Dem Referenzzeichen "transparent", das im Transitiven auf etwas Anderes, einen Inhalt, eine Idee verweist, stellt sich etwas" Undurchsichtiges", Intransitives und Doppeldeutiges entgegen, dessen Sinn - wenn man noch von einem solchen sprechen kann - in der physischen, psychischen, rational kognitiven Erfahrung bestünde. Dabei wird der Betrachter selbst um so mehr zum Wahrer der Bedeutung, je mehr er sich in das Werk hinein begibt und sich in "stillschweigender" Konnivenz mit dem Autor befindet. Die Räumlichkeit an sich als Triebfeder der kubistischen Gemälde, die von Kahnweiler feinsinnig untersuchten formalen Kalauer der entsprechenden Skulpturen von Braque und Picasso, die sich am besten aus vierzig Zentimetern Abstand erschließende hypnotische räumliche Tiefe der chromatischen Gemische von Rothko und der Monochrome von Yves Klein und anderen würden ebensolche Zeugnisse der "Undurchsichtigkeit" darstellen. Daß die jüngste schweizerische Architektur genauso "undurchsichtige" formale Anlagen aufweist, steht außer Zweifel, und die von Valerio Olgiati in Papels/Graubünden zwischen 1996 und 1998 errichtete Schule 41 belegt dies auf beeindruckende Weise. Als ob er jegliche Suche nach Referenzen schon im Ansatz ersticken wollte, beläßt es der Autor im Zweifel, ob die leichte Deformation des quadratischen Umfangs allein aus einer reinen - zufälligen (?) - Manipulation des Computers besteht. Die Auswirkungen dieser geringen Verzerrung der Rechtwinklichkeit auf den kreuzförmigen Erschließungsraum sind jedenfalls überraschend: Jeder Arm ist gegenüber dem anderen etwas verschoben und leicht kegelförmig verformt. Dadurch wird der Raum gedehnt und gestaucht, er verlängert sich und schrumpft, er duckt und erhöht sich, je nachdem, wie wir uns bewegen - ganz so, als ob der Erschließungsraum keine außerhalb von uns bestehende, objektive und feststehende Größe mehr wäre, sondern lebendige Materie, die von unserer Wahrnehmung und Position abhängt und sich damit in einem Schwebezustand zwischen einem äußerlichen objektiven und einem subjektiven Fakt befindet.

Vielleicht noch subtiler doppeldeutig ist der Umstand, daß die Schule ein rautenförmig derart verzerrter Quader ist, daß die Basis und der First die Neigung des Hanges einnehmen. Indem sie dem Gebäude die Ortsverbun-denheit sichert, hebt diese Form, die Arnheim "energiegeladen" nennen würde, 42 den abstrakten, objekthaften Charakter des Bauwerks solange hervor, bis die Aufmerksamkeit wie bei einem Zaubertrick abgelenkt wird und in Vergessenheit gerät, daß das Gebäude im Grunde nur mit einem "banalen" Pultdach gedeckt ist.


Die Sättigung der Post:Moderne

Dieser kurze Abriß über die "Undurchsichtigkeit" bestimmter jüngerer schweizerischer Architektur soll mit einem Beispiel abgeschlossen werden, das jede Art von unbedarfter und flüchtiger Entzifferung ins Wanken bringen möge. Es handelt sich um den Holzsteg für Fußgänger und Fahrradfahrer, den die Architekten Marcel Meili und Markus Peter gemeinsam mit dem Ingenieur und "Komplizen" Jürg Conzett 1995 in Murau in der Obersteiermark bauten. Ein Steg ist grundsätzlich ein einfaches lineares, durch seine Enden eindeutig definiertes Objekt. Die Enden werden oft hervorgehoben, um das statische und konstruktive Auftreffen auf dem Boden zu veranschaulichen. In Murau wurde bereits diese Regel durch ein ausgreifendes Gebäude gebrochen, das sich an bei den Ufern mit Gängen und Treppen anklammert. Eine weitere Überschreitung liegt darin, daß der Steg vom Typ her zwar eine gedeckte Brücke ist, der Fußgänger aber unüblicherweise keine beruhigende Umzäunung aus einem kraftvollen Fachwerkträger durchquert. Im Gegenteil: Die Brücke über die Mur ist genau dort vollkommen transparent, wo wir die größte Stärke erwarten, weil sie sich zumindest scheinbar auf eine Trittfläche mit Brüstung und einen "horizontalen Flügel" als Dach "reduziert".

Apropos" wo wir die größte Stärke erwarten": Tatsächlich stellt sich demjenigen, der auf der Brücke steht, als letztes die Frage, "wie die Brücke steht", denn die Konstruktion ist soweit zurückgenommen, daß sie unsichtbar erscheint. Benötigt der Gemeinsinn eine sichtbare, gestenreiche Konstruktion, um erst zu erschaudern und sich dann sicher zu fühlen, 50 steht in Murau die Konstruktions- " Performance", denn um eine solche handelt es sich, ganz im Dienste des Verbergens. Sind Meili, Peter und Conzett die Lord Brummeis der zeitgenössischen Tektonik? Jedenfalls haben sie in einmaliger Affinität mit den Forderungen von De Stijl den "tragischen" Aspekt der Konstruktion getilgt. 43

Ein intellektuelles Erschaudern empfindet jedoch der Fachmann, der sich die Brücke von oben und unten ansieht und dabei seine mehr oder weniger großen statischen Kenntnisse mobilisiert. Ihm wird klar, daß der konstruktive Kern des Steges eine einmalige Version eines 47 Meter langen Vierende-Trägers darstellt, der aus zwei langen horizontalen Trägern besteht. Diese werden von zwei vertikalen Flanschen von beachtlicher Breite gehalten, die rechts beziehungsweise links von dem Träger zwar auf statisch überaus triftige Weise versetzt sind, aber denjenigen verwirren, der eine allzu schematische und mechanische Vorstellung davon hat, wie man mit den Dingen der Technik und der Wissenschaft umgehen kann. Es stellt sich die Frage, ob der Steg von Murau eine statische " Litotes" ist, eine optische Täuschung von Brücke, eine Brücke "en trompe I'ceil"?

Die hier ausgetragene Gymkhana um einige Bauten will nur auf eines hinaus, nämlich dazu aufzufordern, sich nicht übereilt des Begriffes des Zeichens zu entledigen, nur weil einige junge, gute, unwissentlich von Venturi und der Postmoderne inspirierte Architekten das Zeichen mit seiner besonderen Unterart, die das Symbol darstellt, verwechseln.

"Vollgestopft " mit Geschichte und Symbolen, reagiert der Nachwuchs der zeitgenössischen schweizerischen Architektur unterdessen allergisch auf Symbole und die Jagd nach Bedeutungen. Das liegt daran, daß die Postmoderne eine Sättigung herbeigeführt hat und man zur Erschaffung von Neuem schon das Kind mit dem Bade ausschütten muß. Das liegt auch daran, daß die mit einer elitären Kultur verknüpfte Sprache
der Symbole als besonders fragil und als unangenehm konventionell empfunden wird. Zudem verweist die Sprache der Symbole auf etwas anderes als auf den Nabel der Architektur. Auch Funktionalität und Nutzung eines Gebäudes scheinen die Architekten nicht mehr zu verführen, weil die Geschichte lehrt, daß Programme sich ändern und verloren gehen können, das Gebäude aber bleibt. Die Konstruktion dagegen, die oft mit der " Tektonik" verwechselt oder zur " Tektonik" geadelt wird, und die "Starke Form ", von der man annimmt, daß sie" wirkt ", scheinen dafür den wesentlichen Teil der Architektur auszumachen, nämlich den dauerhaften, der den Architekten das "Überdauern" der Zeit verspricht.

Von diesem Standpunkt aus betrachtet ist die Architekturtheorie, da sie den Betrachter auf "kritische Distanz" hält, eine potentielle Gefahr für einen Ansatz, der Gegenstand, Sinn und Schöpfer verschmilzt. Das Zeichen entsteht aus dem Umgang mit den Dingen und betrifft die fünf Sinne und vor allem den sechsten als dessen Nutznießer. Es gehört zu uns als Individuen und Mitglieder einer Gesellschaft und eines Kulturkreises, mit dem Objekt und seinem Schöpfer und gegen beide zu sein. Wir sind - mit Ecos Worten - der "Iector in fabula" und ohne unsere interpretierende Mitarbeit gibt es keine architektonische Erzählung. Die architektonischen Zeichen, die - im Unterschied zur Sprache - alles andere als willkürlich und unmotiviert sind, rufen Emotionen hervor und übertragen Empfindungen. Dabei scheinen manche Zeichen mehr Zeichen zu sein als andere, die vielleicht gar nicht einmal als solche wahrgenommen werden. Diese und andere Fragen des "Warum" und "Wie" sollten im Zentrum einer Semiotik der Architektur stehen. Diesem Ziel wird man sich nach und nach nähern, indem man immer andere Lesarten miteinander verknüpft, die die geschichtliche und kulturelle Entwicklung betreffen und die Dinge mit allen Kniffen der Sinne und der Vernunft zu uns in Beziehung setzen.


Anmerkungen

1 Martin Steinmann, "Form für eine Architektur - Diesseits der Zeichen", in "Faces - Journal d'Achitecture", Nr. 19, Frühjahr 1991, S. 2 (der deutschen Fassung).

2 Vgl. u. a. Umberto Eco, "Trattato di semiotica generale ", Mailand 1975, S. 104ft, Punkt, "2.7.3. La semiosi illimitata". Eco geht bei der Formulierung
dieser Theorie von Peirces Vorstellung des Interpreten aus. Peirce, Charles Sanders, aus seinen "Collected Papers", Cambridge 1931-1935: "(2300) (ein Zeichen ist) jedes Ding, das ein anderes dazu bestimmt (seinen Interpreten), sich auf ein Objekt zu beziehen, auf das es sich selbst auf die gleiche Art bezieht, wodurch der Interpret ebenfalls zum Zeichen wird, und so weiter bis ins Unendliche".

3 Martin Stein mann, a. a. O.

4 Vgl. von Martin Steinmann a. a. O. und ders., "Augenblicklich - Notes sur la perception des choses en tant que formes", in "Matieres", Jg. 3, 1999, S. 55- 65.

5 Martin Steinmann, a. a. 0., S. 2.

6 A.a.O.

7 Martin Stein mann, "Augenblicklich ... ", a.a.O., S. 56.

8 Aa.O.

9 Aa.O. Jenseits der Zeichen

10 Der Begriff " epistemologisches Hindernis" wird hier im Sinne von Gaston Bachelards " Epistemologie. Textes choisis" (Paris 1971) angewandt.

11 Die Beispiele stammen aus Roberto de Robertis' populärwissenschaftlicher Veröffentlichung "Progetto e percezione", Rom 1971, S. 169-172.

12 Zu den Fotografien von Bernard Voita siehe folgende Ausstellungskataloge: Shedhalle Zürich, 1988; "White Garden", Kunsthalle Zürich, Baden 1997; "Von Bildern, Des Images", Kunsthalle Bern, 1986. Heinrich Helfenstein hat meine Aufmerksamkeit auf diesen Künstler gelenkt.

13 Der Vorfall wahrscheinlich aus dem Jahr 1917 wird von Strawinski in den "Chroniques de ma vie" (Paris 19351 Paris 2000, S. 86-87) geschildert.

14 M. Baxandall, " Patterns of Intention ", Yale 1985.

15 Philippe Junod, in "La couleur - Regards croises sur la couleur du Moyen Age au XXe siècle", Tagungsband des Kolloquiums an der Universität von Lausanne (25.-27 Juni 1992), Paris 1994.

16 Aa.O., S. 63.

17 A a. 0., S. 64.

18 John Ruskin, "The Stones of Venice", London 1851, Band I; 1853, Band 11. und 111: beispielsweise Paragraph X, "Die Bogenlinie" , S. 146 ff. der Faksimileausgabe des ersten Bandes der deutschen Ausgabe (1903); Walter Crane, " Linie und Form", Berlin und Leipzig O.J . (1906?); Heinrich Wölfflin, "Prolegomena zu einer Psychologie der Architektur", München 1886 (bes. das siebte Kapitel); Theodor Lipps, "Aesthetik - Psychologie des Schönen und der Kunst", Hamburg und Leipzig 1903; Wilhelm Wundt, "Grundzüge der physiologischen Psychologie", Leipzig 1902 (Erstausgabe 1874).

19 Rudolf Metzger. "Die dynamische Empfindung in der angewandten Kunst", Jena 1917.

20 Rudolf Steiner. "Wege zu einem neuen Baustil- Fünf Vorträge", Dornach 1926.

21 Vgl. die Fundgrube an Informationen und Interpretationen bei Tilmann Buddensieg und Henning Rogge, "Industriekultur - Peter Behrens und die AEG 1907-1914", Berlin 1980; weiterhin Julius Posener. "Berlin auf dem Wege zu einer neuen Architektur - Das Zeitalter Wilhelms 11.", München 1979 und 1995, besonders die Kapitel "Fabrikbau" und "Die Jüngeren und die Jüngsten"; Mechthild Heuser. "Die Fenster zum Hof. Die Turbinenhalle, Behrens und Mies van der Rohe", in "PeterBehrens-,Wer aber weiss was Schönheit sei?''', hrsg. von Hans-Georg Pfeifer. Düsseldorf 1990; Karin Wilhelm, Gropius Industriearchitektur", Braunsch Wiesbaden 1983, besonders S. 50-55.

22 Die Unterscheidung, auf die Karin Wilhelm (a. a. 0 .) hinweist, wurde von Gropius 1911 in seinem Vortrag" Monumentale Kunst und Industriebau"
eingeführt; der Vortrag ist veröffentlicht in: Hartmut Probst, Christian Schädlich, "Walter Gropius - Band 3: Ausgewählte Schriften", Berlin 1988, S. 28-51. Das Thema wurde jedoch bereits von Behrens umfassend besprochen in dem Vortrag" Kunst und Technik", der anläßlich der 18. Jahresversammlung des Verbandes Deutscher Elektrotechniker in Braunschweig am 26. Mai 1910 gehalten, in unterschiedlichen Veröffentlichungen abgedruckt und schließlich in
die Dokumentation von Buddensieg und Rogge (a. a. 0., S. D 278ff.) aufgenommen wurde.

23 Peter Behrens, "Kunst und Technik", a.a.O., S. D 283.

24 Behrens zitiert die bekannte tendenziöse - um nicht zu sagen verfälschende -Interpretation der Semperschen Theorie, die von dem" Wiener Forscher Riegl" in Umlauf gebracht worden war.

25 Siehe" Mitteilungen des Rheinischen Vereins für Denkmalpflege und Heimatschutz" , 4. Jg., H. 1.1. März 1910, S. 26-29, abgedruckt bei Buddensieg und Rogge, a. a. 0., S. D 277 ff.

26 Peter Behrens, "Über die Beziehung der künstlerischen und technischen Probleme", in "Technische Abende im Zentralinstitut für Erziehung und Unterricht", H. 5, Berlin 1917, abgedruckt bei Buddensieg und Rogge, a. a. 0 . S. D 277 Wie die Autoren angeben, handelt es sich um eine Variante des in den "Mitteilungen ... " veröffentlichten Textes.

27 Karin Wilhelm, "Walter Gropius Industriearchitektur", a. a. 0 ., S. 138, Anm; 381 .

28 Auf diesen, damals mit Sicherheit ungewöhnlichen Aspekt eines sich nach unten hin verjüngenden Pilasters hat Mechthild Heuser hingewiesen in "Die Fenster zum Hof ... ", a.a.O., S. 112.

29 Schopenhauer besteht in dem zweiten Band von "Die Welt als Wille und Vorstellung" (Leipzig 1844), "welcher die Ergänzungen zu den vier Büchern des ersten Bandes enthält", auf dem unmittelbar intuitiven Effekt, ohne die rationale Komponente zu verleugnen.

30 Vgl. Helmut Weber, "Walter Gropius und das Faguswerk", a. a. 0 ., S. 76.

31 Vgl. Nikolaus Pevsner, "Wegbereiter moderner Formgebung. Von Morris bis Gropius", Hamburg 1949, S. 116. Wie H. Weber (a. a. 0.) zeigt, unterliegt Fritz Schumacher in seinen "Strömungen in der deutschen Baukunst seit 1800" (Leipzig 1935, S. 114) dem gleichen Fehler.

32 Peter Zumthor, " Pietre e acqua", in "Casabella", 648, September 1997, S. 56-59.

33 Mit "The Raven", den Poe Anfang 1845 in mehreren Zeitschriften gleichzeitig veröffentlichte, wurde Poe schlagartig berühmt. - Der 1846 erschienene
minutiöse und sarkastische Kommentar über die Entstehung des Textes, die" Philosophy of Composition", ist mit der dezidierten Absicht geschrieben, Folgendes aufzuzeigen: "( �) die Räder und Getriebe - die Maschinerie für den Kulissenwechsel- die Trittleitern und Versenkungen - den Kopfputz, die rote Farbe und die schwarzen Flicken, die in neunundneunzig von hundert Fällen die Requisiten von literarischen Historien ausmachen."

34 Philip Johnson, "House at New Canaan, Connecticut", in "Architectural Review", CVIII, September 1950, S. 152-159.

35 Vgl. Andre Gide, "Journal 1889-1939" , Paris 1948, S. 41, und die Untersuchung von Lucien Dällenbach, "Le recit speculaire - Essai sur la mise en abyme", Paris 1977.

36 Das Projekt des Danteum von Giuseppe Terragni und Pietro Lingeri wurde Mussolini am 10. November 1938 vorgestellt. In dem Bericht über die Hölle steht: "Das Gefühl des Bedrohlichen, der Leere, das sich unter der Erdkruste und durch die erschreckende Erderschütterung, die sich bei dem Fall Luzifers ereignet hat, einstellt, kann durch die bedrohliche Decke des Saales plastisch veranschaulicht werden; diese durchbrochene Decke, der durch sich absenkende
Platten unebene Boden und das geringe Licht, das durch die Ritzen zwischen den Blöcken der Decke einfällt, erwecken jenes Gefühl von Katastrophe, Leid und vergeblichem Streben nach Sonne und Licht, das uns in den traurigen Erzählungen jener Verdammten begegnet, die von Dante angesprochen werden." Thomas L. Schumacher (in ..11 Danteum di Terragni - 1938", Rom 1980) hat die Entwicklung dieses Projektes rekonstruiert. Zum Toten-Monument der Ardeatinischen Höhlen vgl. u. a. Aldo Aymonino, "Topografia dei ricordo", in "Lotus", Nr. 98, Juni 1998, S. 7- 22 und Bruno Reichlin, "Figures du neorealisme
dans I'farchitecture italiennne", in "Les Cahiers du Musee national d'art moderne", Nr. 69, Herbst 1999, S. 99-106 und Anm.

37 Philip Johnson weist in dem Artikel über den Pavillon (.,Full Scale False Scale", in: "Show", 111, Juni 1963, S. 72-75) auf die Absichten und Quellen dieser Maßstabslosigkeit hin. In einem Interview hat er zugegeben, daß er auch an das Zwergenhaus im Castello von Mantua gedacht hat.

38 In der Theorie des poetischen Diskurses versteht man unter dem Begriff "Isotopie" Redundanzen, die in einem Text Ebenen von Sinnkohärenz absichern. Die Literatur zu diesem Thema ist grenzenlos; genannt sei nur Umberto Eco, "Lector in fabula -la cooperazione interpretativa nei testi narrativi", Mailand 1979, Absatz 5.3, "L'isotopia", S. 92-101.

39 Philippe Junod, "Transparence et opaciteEssais sur les fondements theoriques de I'art moderne", Lausanne 1976.

40 Vgl . Daniel Henry Kahnweiler, "Les Sculptures de Picasso", Paris 1949. Rothko schlug bei einem Interview selbst diese Sichtweise auf seine Bilder vor.

41 Zur Schule von Valerio Olgiati in Paspels 1996-1998 vgl.: J. Christoph Bürkle, "Befreiung des Raumes", in "Archithese", März 1998, S. 62-68; M. T. (Martin Tschanz?), "Schulhauserweiterung Paspels", in "Archithese" , Februar 1997, S. 36-37; "Werk, Bauen + Wohnen", März 1999, S. 34; "Paspels Valerio Olgiati", Zürich 1998; "Neues Bauen in den Alpen / Architettura contemporanea alpina" - Architekturpreis/Premio d'architettura 1999, Basel 2000,
S.128-137.

42 Rudolf Arnheim behauptet in "Kunst und Sehen", Berlin 1978, S. 426: "Die schräge Richtung ist wahrscheinlich das (�) wirksamste Mittel zur Erzeugung einer gerichteten Spannung", unter Zugeständnis, daß diese Spannung tatsächlich das Ergebnis einer Verformung beispielsweise von einem Rechteck in ein Parallelogramm darstellt.

43 Theo van Doesburg C. Von der neuen Ästhetik zur materiellen Verwirklichung", in "De Stijl", V. März 1923, S. 10) kritisierte die zeitgenössischen Architekten, wie Berlage und Perret, die auf die Sichtbarmachung der Konstruktionsstruktur bestanden: "Gestaltendes schöpferisches Bauen bezieht sich auch nicht (�) auf sichtbares Bloßlegen der Bindungen und Gerüste des Skeletts der Konstruktion. In diesem Falle ist die Tätigkeit des Bauens anatomisch eingestellt wie die Malerei zur Zeit des Naturalismus." Piet Mondrian verkündigte 1933 in einem Brief an Alfred Roth sogar, der Neoplastizismus "kann
den tragischen Aspekt der Konstruktion hervorheben; die Architektur zum Leben erwecken"; siehe Alfred Roth: "Begegnung mit Pionieren", Basel und Stuttgart 1973, S. 174.







Andreas Ruby, Visuelle Paukenschläge
1999
Röntgenareal Zürich

Visuelle Paukenschläge
Über die Überbauung des Züricher Röntgenareals von Isa Stürm und Urs Wolf

Andreas Ruby


Um die Langeweile des höfischen Musiklebens einmal stichprobenartig manifest zu machen, läßt Joseph Haydn in seiner �Sinfonie mit dem Paukenschlag� das Publikum, welches er zuvor mit ein paar Takten einschmeichelnder Streichermusik in trügerische Sicherheit gelullt hat, durch zwei markerschütternde Paukenschläge aus dem kultivierten Halbschlaf aufschrecken. Eine ähnliche Wirkung dürfte das von Isa Stürm und Urs Wolf überbaute Röntgenareal auch im bedächtigen Ambiente des Züricher Bauschaffens gehabt haben. Mit scharfen Konturen und leuchtenden Farben unterbricht das neue Quartier die saturierte Gediegenheit der Zwinglistadt und mischt ihre kleinstädtische Harmlosigkeit mit einem kräftigen Schuß Metropolitanität auf.

Als der Neubau für die Sozialversicherungsanstalt des Kantons Zürich 1999 vollendet wurde, war eine wohlmeinende Reaktion der Öffentlichkeit eigentlich vorprogrammiert. Und das nicht nur deswegen, weil eine derartige Investition im Zeitalter des Bilbao-Effekts dem leicht herunter gekommenen Kreis 5 rund um die Langstraße natürlich als Imagegewinn zugute kommen würde. Auch im zeitgenössischen Architekturschaffen Zürichs setzt die SVA einen Meilenstein. Mit seinem prononcierten Auftreten wagt das Gebäude eine urbane Aussage, wo sich andere mit der korrekten Erfüllung von Raumprogrammen bescheiden. Die gezackte Grundrißform erzeugt eine erfrischende Alternative zu den Stereotypen der gängigen Büroarchitektur. Der epidemischen Verbreitung zweihüftiger Einzelbürozellentrakte setzen Stürm und Wolf einen fließenden Raum entgegen, der unterschiedliche Bürotypen aufzunehmen vermag. Wie Wände plazierte Büromöbel schaffen sinnvolle Unterteilungen, ohne dem Raum seine Großzügigkeit zu nehmen. Die Gebäudelogistik ist in größeren Raumelementen aus Gips oder Holz untergebracht, die gleichsam als �Infra-Möbel�den flexiblen Raum noch stärker individualisieren. Sorgsam ausgesuchte Materialien tauchen das Arbeiten in eine akustische Intimität, so daß der Verzicht auf abgetrennte Korridore nicht als Störung empfunden wird. Überhaupt besticht die Verarbeitungsqualität der Materialien. Auch die konstruktiven Details sind genau durchgearbeitet, ohne je zum technologischen Selbstzweck stilisiert zu werden. Kurzum, ein erstaunliches Bravourstück von zwei jungen Architekten, das bis zum Schluß durchgehalten ist.
Mit dem Bau der neun Wohnhäuser direkt neben dem Versicherungsgebäude verliert die Szene ihre Eindeutigkeit. Im Gegensatz zur entrückten Eleganz der SVA ist die Wohnbebauung von einer unverblümten Modernität bestimmt, die sich eher am frechen Pragmatismus der holländischen Architektur inspiriert als am humorlosen Fundamentalismus gewisser minimalistischer Zeitgenossen. Daß zwei so unterschiedliche Projekte so nah nebeneinander gesetzt werden und dazu auch noch vom selben Architekturbüro stammen, wird von der Kritik als Ausweis evidenter Inkohärenz aufgefaßt. Für den Blick von außen ist es dagegen gerade diese ausgehaltene Differenz, die dem Röntgenareal seine wirkliche Bedeutung gibt. Denn tatsächlich ergänzen sich beide Projekte aufgrund ihrer Unterschiedlichkeit und machen das Röntgenareal zur Keimzelle einer zeitgemäßen Urbanität.

Das beginnt beim grundsätzlichen Verhalten gegenüber der Umgebung, in dem sich beide Projekte die Rollen des offenen und geschlossenen Städtebaus teilen. Auch wenn es zunächst wie eine importierte Großform erscheint, besteht das Z der SVA im Prinzip aus zwei Riegeln, der eine zur Röntgenstrasse, der andere zum Bahngelände ausgerichtet, die durch einen Querpaß miteinander verbunden sind � von der urbanen Typologie also eine verdoppelte und ineinander ver-schränkte Blockrandbebauung. Die Wohnhäuser sind dagegen in offener Bebauung angeordnet. Akustisch können sie sich diese Offenheit leisten, weil die Hauptlärmquelle etwas versetzt hinter dem Versicherungsgebäude liegt, das auf diese Weise zur Lärmbarriere für die Wohnhäuser am Bahndamm wird.

Im Gegenzug schottet sich auch das Wohnquartier nicht ab, wehrt sich nicht gegen die rauhe Materialität der Bahngeleise, sondern akzeptiert und raffiniert sie zu seinem eigenen Grund. Anstatt das Bahngelände als �bösen Moloch" im Stadtgewebe zu verteufeln (wie eine Blockrandbebaung das tendentiell täte), inszeniert die durchlässige Anlage der Wohnhäuser die mobile Landschaft der ein- und ausfahrenden Züge als urbanes Ereignis. Der durch die Würfelhäuser punktierte Freiraum der Wohnbebauung verstärkt das Schauspiel und projziert es in den geschlossenen Stadtraum des 5. Kreises. Doch im Gegensatz zu typisch modernistischen Siedlungsformen, auf die sich Stürm und Wolf hier zu beziehen scheinen, ist der Freiraum zwischen den Häusern nicht nur tote Abstandsfläche, sondern funktioniert als eine besondere Art von Stadtraum, bei dem sich private und öffentliche Eigenschaften die Waage halten. Flaniert man von der Straße kommend zwischen den Häusern entlang, hat man nicht das Gefühl, in die exklusive Privatsphäre von anderen einzudringen. Gut möglich, daß die verwendeten Materialien � verschiedene Sorten von Asphalt und Schotter � eine vollständige private Codierung des Raums verhindern. Auf der anderen Seite scheint dieser semi-öffentliche Raum noch genügend private Nischen zu bieten, wie die liebevoll improvisierten Vorgärten der Bewohner im Erdgeschoß beweisen: Oasen der Individualität, die vom Raum der Gemein-schaft nur durch einen dünnen vegetativen Filter getrennt sind. Diese durchlässige Privatheit findet sich auch in den umlaufenden Balkonen der Häuser wieder. Durch ihre halbdurchsichtigen Lochblechbrüstungen scheint das Leben im Freien nach außen durch, ohne dabei zum exhibitionistischen Ritual zu werden.

Daß man sich gern in diesem Raum aufhält, liegt nicht zuletzt an dieser Animation der Architektur durch die Aktion des Wohnens. Andererseits spielt dafür auch die architektonische Differenzierung der neun identischen Häuser eine wichtige Rolle. Vor allem die gegenüber dem Würfelvolumen der Häuser dynamisch verzogenen Balkone verhindern effektiv den Eindruck räumlicher Monotonie. Blickt man durch die diagonalen Leerräume zwischen den Häusern, ragen ihre Ecken wie Messerspitzen in den freien Raum - und zitieren damit den analogen Eckeffekt der Kalksteinbänder der SVA. Die intensive farbliche Fassung der Häuser liefert schließlich die entscheidende Charakterisierung des Quartiers im Verhältnis zu seiner eher blassen Nachbarschaft. Während die Farbe am SVA-Gebäude eher sparsam eingesetzt ist (das grünliche Glas bildet einen der wenigen Akzente), wird sie hier in der Wohnbebauung zum eigentlichen Identitätsgeber. Dabei wird man überrascht feststellen, daß der vielfarbige Eindruck, der sich von weitem vermittelt hatte, letztlich von nur zwei Farben erzeugt wird: einem warmen und einem kalten Gelb. Die reale Farbwirkung wird noch durch die Sonnenstoren ergänzt, die entsprechend in einem warmen und einem kalten Rot gehalten sind. Daß die Architekten ihr Gestaltungskonzept im Innern der Gebäude nicht ausüben konnten (hier wollte der Investor leider nicht mit seinen eigenen architektonischen Vorstellungen geizen), ist gerade angesichts der hohen Innenraumqualität des SVA-Gebäudes bedauerlich. Im Gegensatz zu dem lieblosen Standardgrundriß, der die Häuser jetzt in renditeheischender Gleichheit ausstaffiert, hatten Stürm und Wolf einen Katalog von individualisierten Grundrissen entwickelt. Doch kann auch die schnöde Zensur des Marktes das Projekt nicht daran hindern, seine besondere städtebauliche Wirkung zu entfalten. Im Zusammenspiel mit dem SVA-Gebäude formuliert es das Plädoyer für eine urbane Vielfalt, die in der Architektur offenbar genauso belebend sein kann wie Paukenschläge in der Musik.






Martin Steinmann, La Forme Forte, Diesseits der Zeichen
1990
Einstellhalle Domat Ems

La Forme Forte
Form für eine Architektur
Diesseits der Zeichen

Auf der bekannten Seite von Vers une architecture mit dem Silo von Wilkinson stellt Le Corbusier zwischen dem, was da ist und was er fait brutal nennt, und unseren Empfindungen eine Beziehung her: einfache Formen oder formes primaires bewirken einfache Empfindungen (an einer Stelle, die ich nicht finden kann, schreibt er von sensations primaires). Seinem Hintergrund entsprechend handelt es sich dabei um die stereometrischen Körper: Würfel, Konus, Kugel, Zilinder... Sie «sind die grossen, einfachen Formen, die das Licht gut erkennen lässt; das Bild, das wir von ihnen haben, ist klar, ohne Zweideutigkeit. Aus diesem Grund sind es schöne Formen (...) Die Werke der Ingenieure, die Le Corbusier verwendet, um seine Aussagen zu veranschaulichen - genauer die amerikanischen Silos -, sind also nicht wegen ihrer Zweckmässigkeit schön, sie sind es wegen der einfachen Formen ( die aus ihrem Zweck folgen können).

In ihrem Bestreben, das Bild als eine Maschine zu verstehen, une machine destinée à emouvoir, haben Ozenfant und Le Corbusier sich auch in La peinture moderne über die Art der Empfindungen geäussert, die ein Bild bewirkt. Danach nehmen wir Gegenstände in Beziehung zu den gemachten Erfahrungen wahr, nicht nur als Bedeutung, sondern schon als Form. Diese Erfahrungen aber sind, wie sie schreiben, auch unbewusster Art: physiologische und in der Folge auch psychologische - Erfahrungen, wie sie beispielsweise mit der Vertikalen verbunden sind. On ne peut pas ne pas constater que la loi de la pesanteur régit toutes les choses de la terre (...), l instinct proteste contre instabilité et même I apparence de I instabilité (...). L art ne peut pas faire opposition à cet instinct (...). La caracteristique visible de la pesanteur satisfaite est la verticale.

Der Hinweis auf den Turm von Pisa in diesem Zusammenhang bringt diese Seiten von La peinture moderne in Verbindung mit der Psychologie der Form, wie sie Heinrich Wölfflin 1886 auf die Architektur angewendet hat, indem er die Wahrnehmung eines Baues mit der Wahrnehmung des eingenen Körpers in Verbindung bringt: Es sind Verhältnisse der Schwere, des Gleichgewichtes, der Härte usw., Verhältnisse, die für uns einen Ausdruckswert besitzen, schreibt er. Und Wie der Ausdruck der Schwere unseren körperlichen Erfahrungen entnommen ist (...), so wird auch das, was der Schwere entgegenwirkt, nach menschlicher (...) Analogie aufgefasst.

Neu an der Psychologie der Architektur ist im Grunde vorallem der Versuch, die klassischen Form-Gesetze zu erklären durch Empfindungen, die von Formen bewirkt werden: schwer vs leicht, ernst vs heiter usw., um ihnen auf diese Weise eine tiefere oder besser natürlichere Bedeutung zu geben.

Le Corbusier verfolgt ein ähnliches Ziel, wenn er den Assoziationen der abbildenden Kunst die von den Farben und Formen hervorgerufenen Empfindungen gegenüberstellt:... Empfindungen, die fest und damit sicher sind, weil sie physiologischer Art sind. Daraus folgt die Aufgabe des Purismus: die Farben und Formen festzulegen, welche das Klavier der notwendigen Ausdrucksmittel bilden, ein clavier a réactions bien définies, und andererseits die Empfindungen festzustellen, die auf natürliche Weise mit den Formen und Farben verbunden sind. So kann sich der Maler mit Genauigkeit ausdrücken (wobei im Fall der Farben zu den physiologischen Wirkungen noch die psychologischen kommen: Le brun est terrestre). Was die Formen betrifft, so bestimmen sich die Empfindungen, die sie wecken, wie gesagt in Beziehung zur Vertikalen : Toutes les formes provoquent
des sensations differentielles de celles de la verticale.

Die Wahrnehmungspsychologie hat versucht, solche Ansätze zu einem geschlossenen Ganzen zusammen-zufassen. Dabei räumt sie den Gegensatz zwischen den natürlichen und den gesellschaftlichen Grundlagen der Wahrnehmung aus dem Weg, indem sie die zweiten zur Kodierung der ersten erklärt: Auch wenn wir denken, dass Formen für uns gut sind, weil wir gelernt haben, dass sie es sind, so sagt das noch nichts aus über die Frage, warum sie und nicht andere Formen von der Gesellschaft für gut erklärt wurden. Wir müssen aus diesem Grund annehmen, dass Eigenschaften der Formen selber für die Wirkung verantwortlich sind, die sie auf uns haben, indem sie unseren biologischen Bedürfnissen entsprechen (oder nicht-entsprechen). Das ist der Ausgangspunkt der Arbeiten von Rudolf Arnheim: der Mensch brauche Einfachheit und Klarheit, um sich zurecht zu finden, Einheitlichkeit um gut zu funktionieren, Vielfältigkeit zur Anregung. Diese Bedürfnisse werden von den einen Mustern besser befriedigt als von den anderen.

Wenn wir den Bereich von einfachen Formen verlassen, so bezieht sich Einfachheit in klarer Weise nicht auf eine Form, sondern auf eine Struktur. Deswegen beschreibt Arnheim das Wahrnehmen von Form als das Erfassen ihrer strukturellen Merkmale, eine Auffassung, die sich auf die Gestaltpsychologie stützt und die sich unterscheidet von der traditionellen Auffassung, dass die wahrgenommenen Merkmale auf Grund unserer Erfahrung zu einer Form zusammengestellt werden, die wir verstehen. Das Erfassen der strukturellen Merkmale ist aber kein biosses Registrieren: Wenn wir einen Gegenstand wahrnehmen, lesen wir diese Merkmale aus ihm heraus - als Wahlen, die sich gegenseitig stützen - oder wir lesen sie in den Gegenstand hinein.

An einer Stelle meiner Leçon des choses habe ich Arnheim von einem semiologischen Punkt aus kritisiert. Während ich diese Passage vorlas, dachte ich bei mir: das stimmt nicht; und: du musst wieder Arnheim lesen. Was nach meinem plötzlichen Verdacht nicht stimmt, ist, dass wir Dinge notwendigerweise als Zeichen wahrnehmen. Sicher, sie sind auch Zeichen. Aber ihre Wirkung beschränkt sich nicht auf die Bedeutung bzw. darauf, dass wir ihre Bedeutung verstehen. Es gibt eine Wirkung, die von dem ausgeht, was da ist, von der Form, und nicht von einer Bedeutung, die auf Grund einer Konvention mit der Form verbunden ist (sodass wir die Konvention kennen müssen, um die Form zu verstehen). Es gibt eine unvermittelte Erfahrung der Dinge. Sie nimmt nicht die Stelle der Bedeutung ein, die man als eine Erfahrung verstehen kann, die durch eine Konvention vermittelt wird.

Bruno Queysanne hat in einem Vortrag über das Sprechen vor der Sprache das Wort Kommunikation verwendet für eine Wirkung wie innen aussen, wie sie Architektur vermitteln kann (sein Beispiel, später, war der Busbahnhof in Chandigarh). Eine erste Frage ist terminologischer Art: Kann man hier von Kommunikation sprechen? Setzt mitteilen nicht gerade Sprache voraus? Der Busbahnhof teilt seinen Gebrauch mit durch seine Form, die wir von anderen Bauten kennen. In unserer Erfahrung verbindet sich die Form (genauer das, was diesen Bauten gemeinsam ist) mit der Bedeutung Busbahnhof. In unserer Erfahrung wird sie das Zeichen für den Gebrauch, dem sie dient. (Wenn wir nach X fahren müssen und den Busbahnhof suchen...) Aber die Form, ein grosses Dach, vermittelt auch eine räumliche Erfahrung, die nicht an diesen Gebrauch gebunden ist, auch wenn dieser Gebrauch ihre raison d être bildet. So überlagern sich zwei Erfahrungen in dem Dach, eine vermittelte oder gelernte und eine unvermittelte.

In Queysannes Beispiel, das ich nur durch seine Beschreibung kenne, spielt sicher die Erfahrung von Himmel, der ein gebauter ist, eine Rolle. Im Busbahnhof in Rotterdam (OMA) tut sie das auch, aber auch die Erfahrung von anderen Dächern - und durch sie hindurch die Bedeutungen, die beispielsweise in amerikanischen Filmen aus den 50er Jahren mit ihnen verbunden werden, durch die story ist wichtig für die Wahrnehmung des Daches.

Und dann gibt es noch eine andere Erfahrung in meinem Beispiel, die wichtig ist: die Form-als-Form (in Unterscheidung zur Form-als-Bedeutung). Man kann auch vom biossen Signifikanten sprechen, der seine Wirkung hat, der für seine Wirkung also nicht auf die Verbindung mit einem Signifikat angewiesen ist, auch wenn sich später die Erfahrung der Form in die Erfahrung eines Zeichens verwandelt («dès qu il y a société, tout usage devient signe de cet usage», wie Roland Barthes anmerkt).

Andererseits eignet sich nicht irgendeine Form, um zum Zeichen von on the road zu werden: diese Bedeutung muss in ihr angelegt sein: Wir haben uns mit den Dingen unserer Umgebung gerade deswegen so vertraut machen können, weil sie sich durch Kräfte (...) in uns festgesetzt haben, die vor der Erfahrung und unabhängig von ihr wirkten; erst so gaben sie uns die Möglichkeit, sie zu erfahren. Das heisst, dass nicht alles zum Zeichen von allem werden kann. Zeichen sind zwar nicht natürlich, sondern enstehen.durch Vereinbarungen (sind also künstlich). Dennoch muss ihre Bedeutung in der Form gewissermassen angelegt sein. Arnheim nennt als Beispiel die Kuppel einer Kirche, die ein Bild des Himmels bedeutet; aber auch wenn man den Kode nicht kennt, der diese Form und diese Bedeutung verbindet, gibt es eine gewisse Verwandtschaft zwischen der Kuppel und dem Himmel: sie teilen einige Ausdruckswerte (expressive connotations). In diesem Sinn sind die konventionellen Zeichen ein besonderer Fall von dem, was Arnheim offene Zeichen nennt.

Die Analogie zwischen der Form (besser Gestalt) eines Gegenstandes und einer entsprechenden Bedeutung beruht auf sehr allgemeinen Eigenschaften wie hoch oder tief, offen oder zu, dunkel oder hell... Konventionelle Zeichen könnten sich nicht auf diese Eigenschaften stützen, wenn diese nicht schon in der täglichen Erfahrung schattenhafte Bedeutungen aufweisen würden. Sie schränken aber die möglichen Bedeutungen des Signifikanten auf ein Signifikat ein. Die Zeichen, die die Kunst schafft, weisen diese Einschränkung zurück. Das Werk der Kunst ist im Sinne Ecos ein opera aperta. Es beschäftigt sich mit den ausdruckshaften Eigenschaften der Form, um das zu erreichen, was Arnheim die spontane Bedeutung nennt, das heisst die Bedeutung, die sich aus dem Ausdruck des wahrgenommenen Gegenstandes ableitet.

Arnheim nennt zwei Grundsätze, die die Wahrnehmung von Dingen bestimmen: Der eine betrifft die Einfachheit; er besagt, dass jeder Wahrnehmungsgegenstand danach strebt, so gesehen zu werden, dass das Wahrnehmungsmuster, das sich ergibt, so einfach ist, wie es die Gegebenheiten zulassen. Der andere Grundsatz betrifft die Dynamik. In Analogie· besagt er, dass jedes Wahrnehmungsmuster als Kräftemuster gesehen wird: Die dynamischen Eigenschaften, die allem eigen sind, was unsere Augen wahrnehmen, sind so grundlegend, dass wir sagen können: Die visuelle Wahrnehmung ist die Wahrnehmung visueller Kräfte.

Diese Kräfte bewirken Spannung (Kandinsky hat diesen Begriff· eingeführt in Punkt Linie zur Fläche- er genügt aber nicht: zu Spannung muss noch Richtung kommen). Spannung ist eine Eigenschaft, die der wahrgenommenen Gegenstand besitzt; Sie wird ihm nicht vom Betrachter, der sich auf gemachte Erfahrungen stützt, zugeschrieben. Die schräge Richtung ist wahrscheinlich das (...) wirksamste Mittel zur Erzeugung einer gerichteten Spannung. Dabei ist die Spannung besonders stark, wenn die Stellung des wahrgenommenen Gegenstandes von der Stellung abweicht, die er normalerweise einnimmt: sie weicht nicht nur von der formalen Norm horizontalvertikal - ab, sondern auch von unserer Erfahrungsnorm. (Die beiden Abweichungen stützen sich gegenseitig beim Erzeugen der Spannung).

Es werde nun klar geworden sein, dass Spannung auf Deformation zurückgeht, schreibt Arnheim, auf Deformation einer ersten Form, die in der zweiten aufgehoben ist: das Parallelogramm erreicht seine Spannung als Deformation des einfacheren Rechteckes.Proportionen in der Architektur liefern uns einfache Beispiele. Mit dem Übergang zum Barock tritt die runde Form immer mehr zugunsten der ovalen Form zurück, und für das Quadrat kommt immer mehr das Rechteck, sodass eine Spannung der Proportionen entsteht. Dabei unter-stehen auch diese ersten Formen der Einfachheit und Normalität (als verwandte Begriffe in den Bereichen von Wahrnehmung und Erfahrung).

In einer Reihe von Formen entspricht die normale Vorstellung der einfachsten von diesen. Die Reihe aber ergibt die Wirkung einer Muybridge schen Fotografie (die Wirkung einer Bewegung). Arnheim bildet eine Reihe von Körpern ab: der mittlere ist ein Würfel, die anderen haben die Proportionen 2: 1, 3:2, 5:4, 1:1, 4:5, 2:3 und 1:2. Die Wirkung ist, dass wir nicht sieben selbständige Formen sehen, sondern einen Körper, der sich verändert: er verändert seinen Ausdruck, von Liegen zu Stehen. Das gleiche Beispiel finden wir schon in Wölfflins Psychologie der Architektur. Ein Würfel zeichnet sich durch die Gleichheit von Breite und Höhe aus. Wir können nicht sagen, liegt der Körper oder steht er. (...) Der Würfel will nichts. Das gibt ihm den Ausdruck von Gleichgültigkeit. Dann beginnt Wölfflin in Gedanken, den Körper zu verändern, um zu sehen, wie sich mit wachsendem Höhe sein Ausdruck verändert (und um die Bedingungen von Ausdruck zu verstehen) : ins Schwere, ins Kräftige, ins Schlanke, ins Schwächliche.

Der Ausdruck eines Körpers ist aber nicht darauf angewiesen, dass andere Formen anwesend sind, an denen er als différence abzulesen ist; diese sind auch als abwesende wirksam; zum mindesten die einfachsten Formen sind es, von denen aus sich die Spannung als "Veränderung in der Höhe oder in der Breite ergibt. Dabei stellt sich die Frage, ob Normalität und Einfachheit dieser Formen ausserhalb der Gesellschaft gegeben sind.

Wenigstens für die Normalität trifft das nicht zu. So denke ich, dass die Faszination, die bestimmte Bauten für uns haben, gerade darauf beruht, dass ihre Form von unseren Wahrnehmungsgewohnheiten abweicht. Das gilt für viele Bauten der Ingenieure, auch einfache wie die Scheunen zum Trocknen von Tabak, die im Mittelland seit den 50er Jahren gebaut werden. Ihre Form ist zum einen dadurch ausdruckshaft, dass sie mit ihren Stirnen, die nach oben breiter werden, von der �normalen� Form von Scheunen abweichen; zum anderen ist sie es durch die Eigenschaften ihrer Form selber. (Diese beiden Seiten lassen sich manchmal nur schwer auseinanderhalten). Zu diesen Eigenschaften gehören in erster Linie diese Stirnen; Sie haben in der Wahrnehmung einen hohen Schwer-punkt und damit einen Stand zu Folge, den wir als leicht empfinden können, weil die Scheunen der Schwerkraft trotzen, oder als unsicher (normalerweise liegt der Schwerpunkt von Bauten tief). Wie wir diese Form wahrnehmen, hängt vom Spiel aller Kräfte ab, welche den Ausdruck dieser Scheunen - als Gleichgewicht
- bestimmen: die geschlossene Form lässt sie schwerer erscheinen, die dunkle Farbe leichter...

Die erste der Drei Mahnungen an die Herren Architekten von Le Corbusier gilt der Form eines Baues, seinem Körper. Sie beginnt mit einem Bild, welches die Mahnung anschaulich macht, die er in der eindrücklichen Bestimmung der Architektur als jeu (...) des volumes assemblés sous la lumière zusammenfasst. Es ist das Bild des Silos von Wilkinson, das ich schon einmal erwähnt habe, eines Baues also, den John Ruskin zum mere building gezählt hätte (und wahrscheinlich auch gezählt hat), um ihn von der Architektur zu unterscheiden. Le Corbusier aber zählt ihn zur Architektur, weil erin der Versammlung von einfachen, klaren Körpern das Wesen der Architektur erkennt.

Diese Dinge sind bekannt, auch die Missverständnisse, die mit den Verweisen der modernen Architekten auf die Bauten der Ingenieure zusammenhängen (vor Le Corbusier hatte schon das Jahrbuch 1913 des Deutschen Werkbundes solche Silos gezeigt). Die «Notwendigkeit» ihrer Form von Schmidt und Stam in die Formeln
Technik =Bauen/kg und Monumentik = Bauen x kg gebracht war nur eine Seite dieser Referenz. Die Zweckmässigkeit der Form war vorausgesetzt; 1 architecture commence audelà de la machine, wie Le Corbusier den Stimmen antwortete, die ihm Abweichen vom Funktionalismus vorwarfen (Réponse à Teige). Was ihn an den Silos interessierte, .war der Ausdruck ihrer Form (die funktional gedeckt war, die sich aber nicht im Zweck erschöpfte). Le Corbusier hat verschiedentlich auf die Wahl hingewiesen, die der Ingenieur treffen muss, von nichts anderem bestimmt als von seinem Geschmack. Die Notwendigkeit, von der Schmidt spricht, deckt nicht die ganze Form. Sie ist oft der Ausdruck mangelnder Vorstellungskraft, die eine Gewohnheit des Denkens
als Notwendigkeit erklärt.

Wenn man bei der Form eines Baues von einem Rest sprechen kann, das heisst von einem Anteil an den Entscheidungen, der weder von der Funktion noch von der Konstruktion vollständig erklärt wird, so stellt sich die Frage nach der Verwaltung dieses Restes. - Nach der Vorstellung der modemen Architekten sollte die Form nicht nur zweckmässig sein, sie sollte auch zum Ausdruck bringen, dass sie es ist: sie sollte Zweck-mässigkeit bedeuten (was nicht das gleiche ist wie zweckmässig sein). Das ist eine Wahl, wie sie Le Corbusier meint; ihm selber war der Audruck der Zweckmässigkeit allerdings gleichgültig.

Die Beziehung zwischen Form und Zweckmässigkeit ist damit nicht aufgegeben, nurmeint Zweck etwas breiteres oder tieferes als die Funktion eines Baues, nämlich seinen Sinn. In Verbindung mit dem oben gesagten sollte ein Entwurf demnach Empfindungen bewirken, die dem Sinn des Baues angemessen sind. Mit dieser FesteIlung scheinen wir uns mitten in der Auseinandersetzung der französischen Traktate des 18. Jahrhunderts einzurichten. Nur, die Empfindungen sind in jener Auseinandersetzung an kodierte Formen gebunden bzw. an Formen, deren Bedeutungen - oder Empfindungen -gesellschaftlicher Art sind. Die sensations primaires dagegen sind bzw. wären natürlicher Art und damit wahrer als die Empfindungen, die sich auf ein Lernen stützen (auf eine Sozialisierung).

Le Corbusier hat sich spätestens seit 1918 - damals erschien Après le cubisme - mit den Empfindungen beschäftigt, welche von den Formen geweckt werden. Auf welche theoretischen Grundlagen er sich dabei stützte, ist noch zu untersuchen. (Man hat den Eindruck, dass er Stücke verschiedener Auffassungen, unter ihnen auch die Gestalttheorie, benützt.) Diese Beschäftigung hat zum Ziel, Bedeutungen von Formen - und Farben - zu entdecken, die unterhalb von Kodes liegen, und Stile sind nichts anderes als Kodes: L architecture n a rien avoir avec les styles. Auf einer anderen Ebene dient der Hinweis auf die Werke der Ingenieure
dem gleichen Ziel: natürlichere Grundlagen der Form zu finden, als es die Stile sind. Das heisst aber auch Grundlagen, die nicht den Veränderungen der Geschichte unterworfen sind.

Um die Auseinandersetzung nicht zu blockieren - wer spricht heute noch von Stilen? - ist es nützlich, das Wort Sprache zu verwenden, das auch der Vorstellung entspricht, dass ein Bau durch seine Formen eine Mitteilung darstelle (es entspricht mit anderen Worten einer semiologischen Vorstellung der Architektur als machine à signifier). Die Semiologie hat in den vergangenen 20 Jahren einen äusserst wichtigen Beitrag zur architektonischen Auseinandersetzung geleistet, indem sie den Mechanismus des Bedeutens erkennbar gemacht hat. Dabei ist aber auch mehr und mehr klar geworden, dass Formen Empfindungen bewirken können, die ihren Grund nicht in anderen Formen haben, auf die sie verweisen, und diese auf wieder andere Formen... Diese dauernde Regression ist die Grenze der Semiologie: Es muss einen Punkt geben, an dem Formen ihre eigene Bedeutung sind. Das entspricht auch der Feststellung, dass wir von Dingen fasziniert sind, ohne dass wir unsere Empfindungen aus einer früheren Erfahrung mit gleichen Dingen erklären könnten. Es muss Formen oder eben Gestalten - geben, die unabhängig sind von der Erfahrung des einzelnen: Formen, die ihren Sinn in Beziehung zu grundlegenden Gesetzen der Wahrnehmung finden.

In der Architektur der Gegenwart kann man eine Neigung feststellen, Bauten als einfache, klare Körper auszubilden, als Körper, durch deren Einfachheit die Form, das Material, die Farbe eine grosse Bedeutung bekommen, und zwar abseits aller Verweise auf andere Bauten. Diese Entwürfe setzen nicht länger fremde Formen auf als Maske, die verdecken soll, dass sie kein eigenes Gesicht haben.

Diese Entwürfe zeichnen sich durch die Suche nach der starken Form aus - nach der Gestalt. Brancusi hat von forme essentielle gesprochen und er hat dem Wesen des Menschen beispielsweise im Mädchentorso, 1918, oder im Knabentorso, 1923, in einfacher, grosser Weise Form gegeben. Indem Brancusi die Idee einer Erscheinung (wie etwa eines Vogels) aufs äusserste reduziert, erreicht er den Punkt, wo die Idee eins wird mit der Form, und zwischen beiden eine Art Oszillation stattfindet. Auf die Architektur angewendet hat diese forme essemtielle also mit der Funktion eines Baues zu tun, was seine Bedeutung als eine Ebene seiner Funktion einschliesst.

In diesem Sinn sagt Hans Kollhoff, der Architekt müsse auch in einer banalen Aufgabe das suchen, was zur Form drängt. Ein Bau müsse erst einmal aus sich heraus zum Leben kommen, (und nicht aus dem Ort heraus). Nun ist das schwierig. Bei unserem Entwurf für Moabit haben wir zum ersten Mal mit diesem Ansatz experimentiert. (....) Wir sind dabei auf Adolf Behne gestossen, der vom Werkzeug- und Spielzeugcharakter der Architektur spricht. Um zum Werkzeugkarakter zurückzukommen, haben wir in Moabit Silos untersucht. Diese Bauten sind grossartige Architekturen, ganz aus der Funktion entwickelt. (...) Diese Bauten haben ein eigenes Leben, und weil sie das haben, können sie mit der Stadt einen Dialog beginnen.

Wer denkt hier nicht an die Bilder in Le Corbusiers Drei Mahnungen an die Herren Architekten? Aber die Beziehung besteht nicht einfach darin, Silos als einfache und deswegen schöne Formen oder als Ausdrucksformen zu bezeichnen, was auch nicht das gleiche ist - denken wir nur daran, dass Le Corbusier die Fotografien die er abdruckte, retuschierte. Sie besteht in der Auffassung der Stadt als einer Versammlung von Bauten, die aus sich heraus leben. (Le Corbusier hat in verschiedenen Zeichnungen Rom als Konstellation von einfachen bzw. primären Körpern wiedergegeben, die einen Gedanken vermitteln une pensée qui s éclaire sans mots...mais uniquement par des prismes qui ont entre eux des rapports; ces rapports (...) sont le langage de l architecture.

Ich denke nicht, dass die Neigung in der gegenwärtigen Architektur, Bauten als einfache Körper oder auch als Versammlung von solchen Körpern aufzufassen, sich ausdrücklich auf die Drei Mahnungen stützt. Die Beziehung, welche sie herstellen zwischen den Körpern und den Flächen, die ihn bilden, ist allerdings unabweisbar: Die Gestaltung einer Fläche müsse die Form in ihren Eigenschaften sichtbar machen, statt sie «wie ein Parasit» zu verschlucken. Man kann diese Beziehung aber auch umdrehen. So habe ich von der Architektur vom Peter Zumthor geschrieben, es sei entscheidend für die Poesie der Arbeit, die sie bestimmt, dass seine Bauten aus einfachen Körpern bestehen. So kann sich die Aufmerksamkeit auf die Flächen richten, darauf wie sie «gemacht» sind, oder genauer, wie die sinnlichen Erfahrungen «gemacht» sind, die sie vermitteln (oder auf diese Erfahrungen selber).

Ein ausgezeichnetes Beispiel für die mit einigen Strichen angedeutete Auseinander- setzung ist der Ausstellungspavillon, den Adolf Krischanitz in St. Pölten gebaut hat: er besteht auszwei Teilen, deren Wesen in der Form, die sie haben, anschaulich wird (die in diesem Sinne forme essentielle ist), nämlich ein langer, gerader Körper, welcher als Weg auf drei Stockwerken die eigentliche Ausstellung aufnimmt, und ein runder Körper für Versammlungen. Um zu erklären, was er meint mit aus sich heraus zum Leben kommen, verweist Kollhoff auf Louis Kahn: Er hat die Frage gestellt: Was will das Gebäude sein? (...) Versammung zum Beispiel tendiert für ihn zum Kreis. Das Gebäude, das sie aufnimmt, muss diesen Kreis nicht unbedingt nachzeichnen. (...) Wichtig ist die Zentralität.

In den Entwürfen anderer Architekten sind die Körper aneinander geschoben, ohne dass sie deswegen verschmelzen: die Gestalt, die ihre Eigenschaften bilden, bestimmt einerseits den Sinn der Teile, wie sie andererseits die Teile durch diesen Sinn voneinander trennt: als Form oder genauer als Gestalt (als eine Struktur, die den Eigenschaften ihren Wert zuweist). Ein frühes und einfaches Beispiel dieser Haltung
ist das Haus in Eglisau von Marianne Burkhalter. Gemeinsam mit Christian Sumi führt sie diese recherche weiter, im Quartiersaal in Zürich Schwamendingen zum Beispiel, wo die verschiedenen Teile der Aufgabe - ausser dem Saal sind das die Halle, die Bühne und das Restaurant - als Schachteln ausgebildet sind, entspre-chend der Haltung, welche die Architekten für sich in Anspruch nehmen, celle de travailler des unités de fonctions par boites. Auf der zweiten Wahrnehmungsebene sind die Teile verbunden durch die Verkleidung mit Brettern, um auf einer dritten wieder unterschieden zu werden: diese Verkleidung ist in den Farben gelb, blau und rot gestrichen (in den Farben des Stijl, auf die Burkhalter & Sumi in Form der Baracke von J.J.P. Oud, 1923, verweisen).

Die Architekten haben, wie sie schreiben, eine lineare Form in Teile gebrochen. Die Gestaltung der Schachteln entsprechend ihrer Funktion approprier la surface à des besognes souvent utilitaires..., Le Corbusier - wischt aber die Wahrnehmung der ganzen Form aus. Als Form sind die Teile nicht Teile. Die schon genannte Baracke von Oud macht diesen Gedanken besonders anschaulich: die Stirnen der Körper, aus denen sich dieser kleine Bau zusammensetzt, sind vollkommen· zentrisch gestaltet, was die einzelnen Flächen als Ganzheiten konstituiert und sie - aus diesem Grund - voneinander trennt. Die Gestaltung der Baracke verwirklicht so die Forderung des Stijl, die Mittel der Kunst selber zu thematisieren. Dabei stützt sie sich auf die Wahrnehmungs-gesetze.

Das von Oud verwendete Muster zur Schaffung von Ganzheiten ist das radikalste, das wir uns denken können, auch das einfachste. In der Regel aber entstehen zwischen der Fläche als Gestalt und den Löchern - den Fenstern, die vom Zweck bestimmt sind - Spannungen. Ces trous sont souvent des destructeurs de forme; il faut en faire des constructeurs de forme. Die eindrückliche Untersuchung des Gesellschaftspavillons
in Ville-d Avray, 1928, durch Bruno Reichlin weist die kompositorischen Mittel nach, mit denen Le Corbusier die Elemente der Fassade gegen den Hof zu einem komplexen Muster von Formen, Grössen und Richtungen verbindet, die - man möchte sagen: trotz allem - ein Gleichgewicht verwirklichen.

Gleichgewicht bedeutet nicht, dass es in einem Muster keine in verschiedene Richtungen ziehenden Kräfte gibt. Es bedeutet, dass sich die Kräfte gegenseitig aufheben (dass neben der Form usw. von Elementen auch die Bedeutung eine Rolle spielt für das Gewicht das sie im Muster haben; sei wenigstens in Klammern angemerkt); sie heben sich auf bis an den Punkt, an dem das Ganze in allen seinen Teilen den Karakter der Notwendigkeit annimmt, wie Arnheim Gleichgewicht bestimmt.

Kontrollieren wir die Betrachtung von Architektur, die ich in diesem Aufsatz vorschlage, an einem konkreten Fall: Es handelt sich um einen Bau, der als Aufgabe nicht banaler sein könnte eine Halle zur Unterbringung von Maschinen, wie sie auf dem Bau gebraucht werden, im hinteren Teil durch einen Boden in der Höhe geteilt;
das ist alles (wenn man vom Keller absieht, der aussen nur durch eine Rampe in Erscheinung tritt), mit Beton gebaut: Rahmen, Wände, Böden, Dach. Die Halle, fast 64 m lang, bildet einen geraden Körper, der in zwei auskragenden Schutzdächern endet (von denen das hintere nicht notwendig ist). Aus dieser Aufgabe also haben Isa Stürm und Urs Wolf einen Bau gemacht, der in erstaunlicher Weise mit den Wahrneh-mungsgesetzen verfährt und dabei die Wahrnehmung selber thematisiert.

In der Tat scheint dieser Bau bestimmte architektonische Bestrebungen seiner Zeit - das heisst der Gegenwart - in einer Weise zusammenzufassen, wie es seinerzeit das Haus Tonini von Reichlin & Reinhart getan hat, das Atelier in Weil von Herzog & de Meuron, das Haus Hodel von Marques & Zurkirchen, andere Bauten von Herzog & de Meuron, von Diener & Diener...

Die Halle nun, erweist sich bei näherer Untersuchung als ein komplexes Spiel von Kräften, die in diesem Sinn mit- und gegeneinander wirken. Dabei bilden sie verschiedene Muster, wie ich im letzten Teil dieses Aufsatzes zeigen möchte. Sie wechseln mit dem Standort, von dem aus wir den Bau betrachten. Sie tun es aber nicht irgendwie ; es sind bestimmte Empfindungen, welche diese Muster vermitteln, genauer gesagt bestimmte
gegensätzliche Empfindungen wie offen vs geschlossen, hell vs dunkel, stark vs schwach, schwer vs leicht, stabil vs labil, gerade vs schräg, Bewegung vs Bewegungslosigkeit, erleichterte vs erschwerte Bewegung... Die folgenden Seiten können die eigene nicht ersetzen, die gerade in diesem Fall eine Wahrnehmung der körperlichen Wirklichkeit sein muss. Sie können bestenfalls die Sinne schärfen für die Wahrnehmung dieses Werkes.

Wir können uns der Halle in Domat-Ems auf verschiedenen methodischen Wegen nähern. Wir könnenen sie als Form oder als Zeichen sehen, immer ist das, was wir sehen bzw. verstehen, mit einer Irritation verbunden. Die Halle endet oben in einer «gesägten» Linie, die wir anfänglich als vertraute Form von Sheds und damit als Zeichen für Industriehallen tout court nehmen. Ein zweiter Blick muss uns allerdings warnen: die Höhe der Zacken ist so gering, dass für Fenster kein Platz bleibt. Die Form muss andere Gründe haben als es Sheds sind. Das heisst noch nicht, dass die Erinnerung an die Welt der Industrie, die sie weckt, ungelegen käme. Aber sie erschöpft sich nicht in diesem Zeichen und sie hat auch ihren Grund nicht darin.

Ich denke allerdings, dass eine semiologische Annäherung an die Halle wenig bringt (oder vorsichtiger: eine Annäherung, die in ihren Formen eine Auseinandersetzung mit der Geschichte der Bauten der Arbeit sucht, wie sie in so eindrücklicher Weise die Fabrik in Cortaillod NE von Reichlin, Betrix und Consolascio geführt hat). Wir müssen die Formen der Halle in Domat-Ems als Formen untersuchen das heisst in ihrer Wirkung, nicht in ihrer Bedeutung - um diesen Bau zu verstehen.

Die gezackte Linie scheint den Bau in seiner Länge zu gliedern. Sie scheint es zu tun; in Wirklichkeit empfinden wir diese Linie als eine in die Ebene hinausweisenden Bewegung, die in einer spitz auskragenden Blende, die den Platz vor dem Tor schützt, endet: das heisst als eine. Bewegung, die bewirkt, dass wir auch die Form als eine empfinden. Zu dieser Wirkung trägt bei, dass auch das hintere Ende spitz auskragt. Somit ist die Halle auf ihren langen Seiten einerseits von Gleichmachung bestimmt, welche die zwei Enden durch ihre gleiche Form in Beziehung setzt, andererseits wird die Gleichmachung - das heisst die, Vereinfachung der Wahrnehmung mit dem Ziel, die Eigenschaften zu unterdrücken, die nicht gleich sind erschwert durch die Spannung, die der leicht ansteigenden gezackten Linie eigen ist. Wir können die Beschreibung aber auch umkehren und sagen, die gleichen Enden würden die Spannung verringern, die der Linie eigen ist. Es wäre aufschlussreich zu sehen, welche Tendenz in der Erinnerung von Menschen vorherrscht, denen man Bilder von dieser Halle zeigt und sie dann auffordert, ihre Form aus der Erinnerung zu zeichnen.

Je mehr wir die Halle in der Verkürzung sehen, die entsteht, wenn wir vorne, in der Ebene um sie herum gehen, je mehr tritt das hintere Ende auf Grund der perspektiv-ischen Verkleinerung zurück; die Spannung nimmt zu, weil sie nicht mehr von der Symmetrie ausgeglichen wird, aber auch weil die Steigung der gesägten Linie perspektivisch verstärkt wird. Es entsteht eine Art Beschleunigung der Bewegung gegen Betrachter hin...Diese Wirkungen aber sind an Zeichnungen nicht zu erfahren: Den Moment zum Beispiel, wo man sich der Halle soweit nähert, dass die nach aussen weisende Kante für einen Moment senkrecht steht und dann nach innen weicht. Auch entwickeln kann man sie nicht auf dem papier. So erstaunt es nicht. dass Stürm & Wolf ihre Architektur aus dem Modell entwickeln, das heisst aus der körperlichen Wahrnehmung.

Das gleiche Verfahren wenden sie auch im Entwurf für die „Häuser auf dem Röntgenareal in Zürich an: die sich von einer Kante zur anderen verbreiternden Balkone haben unter anderem - den Sinn, durch die Schatten die Wahrnehmung der Körper zu verfälschen. Das ist ihnen als Mode vorgehalten worden. - Sicher gibt es in der gegenwärtigen Architektur eine Faszination der Schräge. Die Frage ist aber, wie diese verwendet wird: als stilistisches Mittel oder als Gegenstand einer recherche. Ich meine Architektur von Stürm & Wolf das zweite der Fall ist. (Und immer ist die Schräge auch von einem Zweck gedeckt. Bei der Halle hat die gezackte Linie des Daches beispielsweise die Aufgabe, das Wasser abzuleiten). Die recherche aber gilt der Wahrnehmung von Form.

Das schliesst die Spannungen ein, die entstehen können zwischen der Form, die wir sehen, und der Form, die ist, beispielsweise durch die Verstärkung der perspektivischen Wirkung, die Borromini in der Passage des Palazzo Spada in Rom, 1635, erreicht. Noch stärker wirkt dabei das Gegenteil: ihre Aufhebung, wenn man von hinten durch diese Passage schaut. Damit wird die Verlässlichkeit unserer Wahrnehmung - das heisst unseres ersten sinnlichen Mittels, die Welt zu verstehen in Krise gebracht. Es gibt eine Halle in Domat (bzw. ein dem aus man sie machen kann), auf dem die gleichermassen nach vorne und nach innen weisende Kante (dort wo die Wand eine Blende bildet), senkrecht in der Luft steht: wie eine plötzlich angehaltene Bewegung, unnatürlich (Wahrnehmung betrifft immer das, was natürlich ist: Wahrnehmng schafft Natürlichkeit, indem sie die Dinge in unsere Erfahrung als die Ordnung der Dinge eingliedert).

Die Architekten beschreiben dieses Kippen der Wahrnehmung lakonisch als Veränderung, welche der Baukörper der Halle erfährt, wenn wir um sie herumgehen: Je nach Standpunkt des Betrachters wirkt der kantige Baukörper verändert, lebendig. Vor dm Hintergrund einer Auseinandersetzung mit den Gesetzen der Wahrnehmung, die Berechtigung - in der Form von Bedeutung im Kontext findet, und dazu zählt auch Borrominis Passage, ist die Halle in erstaunlicher Weise frei von einer «Suche nach Legitimation»: Es gibt keinen anderen Grund für das Spiel mit diesen Gesetzen als eben die Lust es zu spielen. Die statische Wirkung der nach innen geneigten Rahmen gehört nicht zum Spiel und damit nicht zu dessen Berechtigung ; sie ist eine Gegebenheit, derer sich das Spiel bedient, das ist alles.

Ich möchte noch einmal auf den grundlegenden Satz der Gestalttheorie zurückkommen, nach welchem jeder Wahrnehmungsgegenstand danach strebt, so gesehen zu werden, dass das sich ergebende Wahrnehmungsmuster so einfach ist, als es die Gegebenheiten zulassen. Dieser Satz bedeutet, dass wir die Neigung haben, das Wahrnehmungsmuster zu vereinfachen, um es so prägend wie möglich zu machen. Ein Winkel von 60° ist beispielsweise einfacher.als einer von 80°, weil er besser als spitzer Winkel wahrgenommen wird. In diesem Sinn trägt die Blende, die einen Winkel von eben 60° bildet viel zum Ausdruck der Halle bei. Dieser Winkel bzw. die Spitzheit, die er als Wahrnehmungsbegriff bestimmt, wird im Sinne der Vereinfachung auf andere Winkel übertragen, um die Zahl der Merkmale zu vermindern, welche die Struktur bestimmen.

Spitzheit - auch «Schrägheit» bildet zwar den Wahrnehmungsbegriff der Teile; in ihrer Wiederholung aber schiebt sich etwas anderes in den Vordergrund, nämlich die Bewegung, welche die Zähne vorschlagen, die wie Wellen gegen einen Strand laufen. Dass heisst, dass die Halle als Gabzes die Struktur bestimmt: Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile. Die Bewegung ist allerdings in der spitzen Form der Teile schon. angelegt. Diese Eigenschaft der einzelnen Teile, die wesentlichen Merkmale des Ganzen zu enthalten, ist von grosser Bedeutung bei einem Bau, den man wegen seiner Länge nur schwer als Ganzes und damit als Gestalt - wahrnehmen kann.

Die Bewegung, die wir wahrnehmen, hat nicht zum wenigsten mit dem von Wölfflin beschriebenen lesen von Wahrnehmungsgegenständen zu tun, das heisst damit, dass wir sie, wie einen Satz, von links nach rechts lesen. (Er weist in seinen Gedanken zur Kunstgeschichte, 1941, .. nach, dass sich die Bedeutung von Bildern aus diesem Grund verändert, wenn man sie spiegelbildlich betrachtet ). Da ein Bild von links nach rechts gelesen wird, schliesst Arnheim daraus, wird die in diese Richtung führende Bewegung darauf als stärker wahrge-nommen. Diese Feststellung können wir an der Halle in Domat-Ems nachprüfen, wenn wir von der Ost- auf die Westseite wechseln, sodass die gegen das Tal gerichtete Bewegung nun von rechts nach links führt, wobei die Bewegung. in der Tat schwächer ist oder doch. mehr Kraft erfordert.

Als weitere Eigenschaft kommen die nach innen geneigten Wände dazu. Da das
Bild der Schalung und vor allem die sich darin abzeichnenden Stiele wirkt sich nämlich äusserst stark auf die Bewegung des Daches aus. Von schräg vorne gesehen, neigen sich die Stiele auf der Ostseite nach rechts, was wir aufgrund unserer am Lesen entwickelten Wahrnehmung als von zügiger oder leichter Bewegung empfinden, wie eine Schrift, die sich nach vorne neigt. Wenn wir unseren Standort wechseln und die Halle von schräg hinten sehen, wird die Bewegung von den gleichen Stielen zurückgehalten, weil sich diese nun nach links neigen. Wieder kann die Schrift die Wirkung veranschaulichen. Auf der Westseite können diese Wahrnehmungsgesetze in ihrer Verbindung dagegen zu einem Zerren der Kräfte führen, das wir fast als körperlich. Als ob sie in verschiedenen Richtungen an uns zerren würden.

Für die erste bzw. primitive Wahrnehmung gilt für die Gestalttheorie: Nous perçevons des propriétés formelles du comportement qui ont par elles-mèmes un sens (Sinn), une valeur. Si ces propriétés se retrouvent dans nos impressions vécues, celles-ci n ont pas le privilège, et ce n est pas par le détour de ces impressions que ce comportement est expressif. Die Erfahrung, die wir schon gemacht haben, kann nützlich sein für das Verständnis einer Form, aber wir leiten diese nicht aus der Erfahrung ab; die Erfahrung nimmt vielmehr die Form an, die wir vor uns haben und die sich selber genügt. (Dabei kann die Erfahrung auch verformt werden.)

Was wir sehen, ist also nicht einfach die Summe dessen, was wir in der Vergangenneit gesehen haben, denn diese Annahme hätte ihre Grenze darin, dass wir die Dinge notwendigerweise ein erstes Mal sehen. Die Annahme ist aber auch deswegen falsch, weil es etwas geben muss - Guillaurne spricht von propriétés formelles -, das uns erlaubt, die frühere und die heutige Wahrnehmung in Beziehung zu bringen, des propriétés formelles qui se suffisent à elles-memes.

Sehen ist allerdings nicht einfach ein Registrieren von Eigenschaften, wichtigen und weniger wichtigen, es ist das Erkennen einer Struktur. Sehen heisst, die wesentlichen Merkmale eines Dinges erfassen und diese Merkmale (...) lassen es auch als ein eintheitliches Muster erscheinen. In diesem Sinn heisst Sehen auch, unter den Merkmalen eines Dinges die wesentlichen auswählen: die Merkmale, die eine Struktur bilden, und zwar die einfachste, die möglich ist.

Das. Wort einfach ist relativ zu verstehen, nämlich in Beziehung zur Zahl der Merkmale, die ein Gegenstand aufweist. Nun ist ein künstlerischer Gegenstand in der Regel komplex, auch wenn er einfach aussieht, was nichts anderes heissen soll, als dass er eine Fülle an Form und Bedeutung in eine Struktur einordnet, die jedem Teil klar seinen Platz und seine Funktion im Ganzen zuweist.

Die Halle in Domat-Ems macht diese Bemerkung Arnheims anschaulich. So komplex die Wirkungen sind, so sparsam sind auf der anderen Seite die Mittel, die dafür aufgewendet wurden: Der Bau besteht zum grössten Teil aus Beton; Ausnahmen machen nur die Stirnen, wo Glas und Blech - für das Tor - verwendet sind. Der Bau ist also zum grössten Teil grau. Und mit wenigen Ausnahmen bestimmt die Schräge die Erscheinung des Baues.
Die Schräge bringt eine Kategorie ins Spiel, die für die Wahrnehmung wahrscheinlich noch wichtiger ist als Grösse, Farbe und Form, nämlich die Spannungen, die zu jedem Wahrnehmungsgegenstand gehören wie die anderen Kategorien. Was wir sehen, ist eine Beziehung zwischen gerichteten Spannungen. An dieser Stelle möchte ich abbrechen.

Die Halle von Stürm und Wolf ist damit nicht erschöpft; auch die hier vorgeschlagene Betrachtung von Architektur ist es nicht, im Gegenteil. Mein Aufsatz weist allerdings nur Stücke vor.In systematischer Form muss man diese Betrachtung noch entwickeln. (Auch Arnheim hat das noch nicht getan). Zu diesem Zweck muss man sich mit der Phänomenologie beschäftigen, - beispielsweise mit dem Werk von Merleau-Ponty - und mit der Kunst, die sich· auf die Phänomenologie stützt. Ich denke, dass die Aufmerksamkeit, welche die Arbeit von André, Judd oder Serra bei den Architekten. findet, darin begründet ist, dass deren Kunst eben Fragen der Wahrnehmung thematisiert, vor allem die Arbeit von Serra die zu einer entscheidenden Referenz geworden ist in der architektonischen Auseinandersetzung. Rosalind Krauss hat auf die Bedeutung der Phénomménologie de la perception für diese amerikanischen Künstler hingewiesen.: Ce sont des artistes de la génération minimaliste qui, les premiers lurent le livre de Merleau-Ponthy. Ich denke aus diesem Grund, dass die Beschäftigung mit dieser Kunst ebenso wichtige Einsichten für die Architektur bringen wird wenn auch ganz andere wie die Beschäftigung mit der Pop Art in den 60er Jahren.






Anmerkungen
Der vorstehende Artikel geht aus von einer intensiven Auseinandersetzung mit der Wahrnehmungstheorie, wie sie Rudolf Arnheim in seinen Schriften seit den 1940er
Jahren in den USA entwickelt hat. 1904 in Berlin geboren, hat Arnheim Psychologie
und Kunstgeschichte studiert; 1928 - 1933 arbeitet er als Kulturredakteur an der Weltbühne, 1933 muss er Berlin verlassen, mit einem Pass, in den später das J gestempelt wird. Bis 1939 schreibt er in Rom über den Film (Filmenzyklopädie) und flüchtet dann über England in die USA, wo er an verschiedenen Hochschulen arbeitet. 1968-1974 lehrt er an der Harvard University, dann an der University of Michigan.
Mit einem seiner ersten Beiträge für die Weltbühne - über die Gestaltung am
Bauhaus - hat Arnheim das Feld seiner späteren Arbeit mit wenigen Sätzen abgesteckt.
Sie lauten: Es muss vieles vom Gefühl gelöst werden, weil es vom Zweck nicht unmittelbar diktiert wird. (...) Man wird bald auch theoretisch begreifen lernen,
(...) dass so ein Gefühl ein sicheres und allgemein gültiges Phänomen ist, das bei den
verschiedenen Menschen zu sehr ähnlichen Resultaten führt.
Es ist erstaunlich, dass die Schriften von Rudolf Arnheim noch kaum französisch vorliegen und im Bereich der französischen Sprache auch kaum bekannt sind. Aus
diesem Grund seien die wichtigsten Bücher im folgenden aufgeführt:

- Art and Visual Perception, Berkley 1954
- Art and Visual Perception The New Version, Berkley 1974
- Kunst und Sehen, Berlin-New York 1978
- Towards a Psychology of Art Collected Essays,Berkley 1966
- Zur Psychologie der Kunst, Wien 1980
- Visual Thinking, Berkley 1969
- Anschauliches Denken, Köln 1972
- The·.Dynamics of Architectural Form, Berkley 1977

Da die gleichen Gedankengänge in verschiedenen Schriften vorkommen, habe ich mich
beim Zitieren vor allem auf ein Buch gestützt, nämlich Kunst und Sehen.







01 Le Corbusier: Vers une architecture, Paris 1923, p. 16.

02 Ozenfant & Jeanneret: La peinture moderne,Paris 1925, p. 155.

03 Heinrich Wölfflin : Prolegomena zu einer Psychologie der Architektur, München 1886, p.5-6, p.15.

04 Ozenfant & Jeanneret: La peinture moderne,Paris 1925, p. 164-166.

05 Rudolf Arnheim: Zur Psychologie der Kunst, Wien 1980, p. 103.

06 s. Rudolf Arnheim: Visual Thinking, Berkley 1969, p. 29.

07 Bruno Queysanne: La parole avant le langage; conférence donnée au Département d architecture EPFL, le 5 décembre 1990.

08 Rudolf Arnheim: Kunst und Sehen, Berlin, 1978, p. 52.

09 Rudolf Arnheim: Kunst...op.cit. p.57 et 411.

10 Rudolf Arnheim : Kunst...op.cit. p.414.

11 Rudolf Arnheim: Kunst...op.cit. p.426.

12 Rudolf Arnheim : Kunst...op.cit. p.430.

13 Rudolf Arnheim: Kunst...op.cit. p.437.

14 Heinrich Wölfflin: Prolegomena..op.cit. p. 27.

15 Le Corbusier: Vers une architecture..op.cit. p. 16 et 25.

16 s. ABC, serie 2, n. 1, 1926, p.8.

17 Ozenfant & Jeanneret : Après le Cubisme, Paris 1918.

18 Pontus Hulten: Brancusi und die Idee der Plastik, in Constantin Brancusi, version allemande, Stuttgart 1986, p. 47.

19 Hans Kollhoff (Entretiens avec Hans Kollhoff), in arch., 105/106, 1990, p. 41 -45. Für das, was nach der From drängt verwendet Kollhoff den Ausdruck Formkraft, wie Wölfflin in seinen Prolegomena.

20 Le Corbusier: Vers une architekcture...op.cit., p. 123.

21 Le Corbusier: Vers une architekcture...op.cit., p. 25.

22 Hans Kollhoff, op. cit.

23 FACES, n. 12, 1989, p. 26 -31.

24 Le Corbusier: Vers une Architecture..op.cit. p. 25-27.

25 Bruno Reichlin : Die Auseinandersetzung mit der Tradition... in der Tat, in archithese, n 1, 1981,p. 18-26.

26 Rudolf Arnheim: Kunst...op.cit., p.24.

27 Die Passage erscheint als ein langer von Säulen begleiteter Gang. Der Platz, der Borromini zur Verfügung stand, war indessen beschränkt und die Passage ist in Wirklichkeit kurz, etwa 8.5 Meter, sie verengt sich aber gegen hinten: die seitlichen Mauern laufen zusammen, der Boden steigt, die Decke fällt und die Abstände der Säulenwerden kleiner.

28 Rudolf Arnheim: Kunst...op.cit., p. 37.

29 Paul Guillaurne : La psychologie de la forme, Paris 1937, edition 1975, p. 187.

30 Rudolf Arnheim: Kunst...op.cit., p. 46, 47.

31 Rudolf Arnheim: Kunst...op.cit., p. 62.

32 Rudolf Arnheim: Kunst...op.cit., p. 14.